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Darf ich meine Oma selbst verbrennen?

Darf ich meine Oma selbst verbrennen?

Titel: Darf ich meine Oma selbst verbrennen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wilhelm
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Totenhemdchen an hat oder ob er unter seiner Sargdecke nackt ist, das spielt keine große Rolle, und diesen speziellen Wunsch können wir dem alten Sonnenanbeter ganz sicher erfüllen. Aber die Trauergemeinde muss doch bitteschön bekleidet sein, das gebietet schon die öffentliche Ordnung, und alles andere könnte von anderen Friedhofsbesuchern auch als pietätlos empfunden werden.
    Das sage ich den Schlotthauers, und die können aus ihrer Enttäuschung nun auch keinen Hehl machen.
    »Das ist aber schade«, sagt sie und schiebt schmollend ihre Unterlippe vor. Er hat glücklicherweise mehr Verständnis und sagt zu ihr: »Siehst du, Mausespatz, ich hab dir doch gleich gesagt, dass das nicht geht.«
    »Und außerdem ist das sowieso zu kalt«, wende ich ein. »Um diese Jahreszeit haben wir schon Frost, da kann man doch nicht eine Stunde nackt in der Trauerhalle sitzen und am Grab stehen.«
    »Das hat ja überhaupt nichts mit Erotik zu tun«, schmollt Frau Schlotthauer immer noch.
    »Ich weiß«, sage ich, »das ist mir bekannt, aber Sie werden doch alle krank, wenn Sie bei diesem Wetter nackt in der nassen Kälte stehen, wir haben ja schließlich November.«
    Der Gedanke an die Kälte lässt Frau Schlotthauer frösteln, und sie zieht ihren Mantel eng um sich und knöpft ihn wieder zu.
    Die beiden reden leise miteinander, und ich nutze die Zeit, um weitere persönliche Daten des Verstorbenen auf unseren Formularen einzutragen.
    Nach wenigen Minuten ergreift Herr Schlotthauer wieder das Wort: »Aber der Opa wäre nackt?«
    »Ja sicher, der Opa wäre nackt, das ist überhaupt kein Problem.«
    »Und wenn wir jetzt unter unseren Mänteln … also so wie heute, dass es keiner sieht …«
    »Das wäre auch kein Problem, aber die Mäntel bleiben an!«
    »Ja, gut, die Mäntel bleiben an.«
    »Aber die bleiben wirklich an!«
    »Ja, versprochen.«
    Ich meine, man weiß ja auch sonst nicht, was die Leute unter ihren Mänteln an haben. Und irgendwo unter unserer Kleidung sind wir ja alle nackt. Und ich finde, der Anstand gebietet es, dass man bei einer Beerdigung etwas anhat, aber es steht ja nirgendwo geschrieben, wie viel Kleidung man über seiner Nacktheit tragen muss.
     
    Übrigens: Die Trauerfeier und die Beerdigung des »Opas« ist sehr schön gewesen. Der alte Mann lag wunschgemäß ohne Bekleidung unter seiner Decke, und die Trauergäste haben sich nicht anders benommen als die bei anderen Beerdigungen auch. Nur wenn man ganz genau hingeschaut hat, konnte man bei dem einen oder anderen erahnen, das der- oder diejenige eventuell unter dem langen dunklen Mantel nichts angehabt hat.
    Geht doch! Man muss als Bestatter oft nur Kompromisse vorschlagen.

Noch ein außergewöhnlicher Wunsch
    »Sie müssen das auch schneller drehen!«
    »Ich rühre doch schon, so schnell ich kann.«
    »Schneller!«
    »Schneller geht nicht.«
    »Noch schneller!«
    »Dann schwappt es aber über.«
    »Dann schwappt es eben ein bisschen über, das macht doch nichts, schneller!«
    »Ich kann nicht mehr, mir fällt gleich der Arm ab.«
    »Mein Gott, was sind Sie für’n Weichei.«
     
    Das sagt Frau Himmelgarth-Rockstroh zu mir, stampft energisch mit dem rechten Fuß auf und macht dabei einen beleidigten Schmollmund. Das Wasser im Eimer beruhigt sich nur langsam.
    Man stelle sich bitte folgende Situation vor: Wir befinden uns im hellgrün gekachelten Behandlungsraum eines Bestattungshauses. Ringsherum Möbel aus Edelstahl, in der Mitte des Raumes der Arbeitstisch und darauf die hagere Leiche des Vaters von Frau Himmelgarth-Rockstroh.
    Am Fußende des Tisches knie ich auf dem Boden, vor mir ein Eimer voller Wasser, und ich halte einen Schneebesen in der Hand.
    Frau Himmelgarth-Rockstroh steht neben mir, hat die Hände in die Hüften gestemmt und erklärt mir zum abersten Male, warum es wichtig sei, dass man ihren verstorbenen Vater mit energetisiertem Wasser waschen müsse.
    Das habe etwas mit einer Phasenverschiebung des Mondes vor Urzeiten zu tun. Seitdem seien wir Menschen nicht mehr im Einklang mit den feinstofflichen Zellfluktuationen auf der Basis von Yin und Yang, wodurch das Yin quasi am Fließen gehindert werde und sich das Yang dann im atmosphärischen Teil des Wassers verklumpe.
     
    Ich gebe zu, ich habe diesen Blödsinn nicht verstanden, muss ich aber auch nicht, es ist ja Blödsinn.
    Doch Frau Himmelgarth-Rockstroh sieht das anders:
    »Wasser ist das Lebenselixier.«
    »Weiß ich doch, man soll zwei bis drei Liter davon täglich

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