Darf's ein Küsschen mehr sein?
dass Ihre Mutter eine Scheidung nicht auch für die bessere Option hielt.«
»Manchmal werden Menschen eben zu weit getrieben.«
Blödsinn. Diese Entschuldigung hatte Maddie von allen Soziopathen gehört, die sie je interviewt hatte. Die alte »Sie hat mich so weit getrieben, dass ich hundertfünfzigmal auf sie eingestochen habe«-Leier. Sie steckte das Kaugummipapier in ihre Hosentasche und fragte: »Was genau an der Affäre Ihres Vaters mit Alice Jones hat Ihre Mutter denn zu weit getrieben?«
Maddie rechnete mit derselben Antwort, die sie auf diese
Frage bisher jedes Mal bekommen hatte. Ein Schulterzucken. Stattdessen wühlte Meg wieder in ihrer Handtasche. Sie zog zwei Schlüssel heraus und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich weiß nicht.« Sie schüttelte den Kopf.
Sie lügt. Maddie sah in Megs grüne Augen, und Meg richtete den Blick auf Tüten mit Katzenfutter und Hundeleckerlis. Sie wusste etwas. Etwas, worüber sie nicht reden wollte.
»Nur drei Menschen wissen, was in jener Nacht wirklich passiert ist. Mein Dad, meine Mom und diese Kellnerin. Und die sind alle tot.« Meg steckte ihren Zeigefinger durch den Schlüsselring und umschloss die Schlüssel mit den Fingern. »Aber wenn Sie die Wahrheit über das Leben meiner Mom und meines Dads wissen wollen, rufen Sie mich an, und ich kläre Sie auf«, verkündete sie und wandte sich zum Gehen.
»Danke. Das werde ich«, antwortete Maddie, obwohl sie sich von Megs Hilfsbereitschaft kein bisschen blenden ließ und stark bezweifelte, dass sie von ihr die ganze Wahrheit über das Leben von Rose und Loch erfahren würde. Stattdessen würde sie Megs Version aufgetischt bekommen, die nach Maddies Überzeugung gnadenlos beschönigt und verharmlost wäre.
Sie schob ihren Wagen zur Schlange an der Kasse und legte ihre Einkäufe auf den Ladentisch. Mick hatte ja schon erwähnt, dass seine Schwester schwierig sein konnte. Litt sie an derselben psychischen Labilität wie Rose? Maddie hatte Megs Feindseligkeit und Groll gegen Maddies Mutter und sogar gegen sich selbst gespürt. Meg hatte sich geweigert, Alices Namen auch nur in den Mund zu nehmen, aber sie wusste etwas über diese Nacht. Dessen war sich Maddie
sicher. Was es auch war, Maddie würde es herausfinden. Sie hatte schon Menschen Geheimnisse entlockt, die verdammt viel cleverer waren und mehr zu verlieren hatten als Meg Hennessy.
Als Maddie nach ganztägiger Abwesenheit ihr Haus betrat, wurde sie von einem Mäusekadaver empfangen. Letzte Woche hatte »Ernies Schädlingsbekämpfung« endlich den Weg zu ihr gefunden und Giftköder ausgelegt, was zur Folge hatte, dass Maddie jetzt überall tote Mäuse vorfand. Sie stellte ihre Value-Rite-Tüten auf die Küchentheke und riss ein paar Papiertücher von der Küchenrolle ab. Dann packte sie die Maus am Schwanz und trug sie nach draußen zu den Mülltonnen.
»Was machst du da?«
Maddie warf einen Blick in die dunklen Schatten der hochgewachsenen Gelbkiefern und erblickte zwei Jungs, die wie ein Minikommandotrupp verkleidet waren.
Sie hielt die Maus hoch. »Ich werf das in den Müll.«
Travis Hennessy kratzte sich mit dem Lauf seines grünen Nerf-Spielzeuggewehrs an der Wange. »Ist ihr Kopf abgehackt?«
»Nein. Tut mir leid.«
»Mist.«
Sie ließ den Kadaver in den Müll plumpsen.
»Meine Mom und mein Dad fahren nach Boise«, informierte Pete sie. »Weil meine Tante ihre Babys gekriegt hat.«
Maddie drehte sich um und sah Pete an. »Wirklich? Das ist ja toll!«
»Ja, und Pete übernachtet bei mir.«
»In drei Sekunden fährt mein Dad uns zu Travis. Er sagt, mein Onkel Nick braucht jetzt was zu trinken.« Pete lud sein Sturmgewehr aus Plastik mit einem orangefarbenen Gummipfeil. »Die Babys heißen Isabel und Lilly.«
»Weißt du, ob -«
Maddie wurde von Louie unterbrochen, der nach den Jungs rief. »Tschüs«, verabschiedeten sie sich im Chor, machten auf dem Absatz kehrt und verschwanden in den Büschen.
»Macht’s gut.« Sie schloss den Deckel der Mülltonne und lief zurück ins Haus. Sie wusch sich gründlich die Hände und desinfizierte die Stelle auf dem Fußboden, wo sie den Kadaver gefunden hatte. Es war schon nach sieben, und sie warf eine Hühnchenbrust auf ihren George-Foreman-Grill. Dann machte sie sich einen Salat und trank zum Essen zwei Gläser Wein. Sie hatte einen langen Tag hinter sich, und als sie fertig gegessen und das Geschirr in die Spülmaschine geräumt hatte, schlüpfte sie in eine blaue Lounge-Pant von
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