Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
einer Petroleumlampe sieht sie verloren aus. Ihre Arme hängen schlaff neben ihrem Körper, ihr Rock ist gerafft und zerrissen, sie muss am Bein verletzt sein, denn sie hat sich mit einem Stück ihres Rockes den Oberschenkel notdürftig abgebunden, der Stoff ist blutverkrustet. Neben mir stößt Indie einen erstickten Schrei aus. Sie drängt sich an mir vorbei und stößt mich halb um dabei. Sie stürzt die Treppen hinauf und umarmt die Frau, die Emma sein soll. Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt habe. Vielleicht eine Frau, die alles regelt, die uns alle Entscheidungen aus der Hand nimmt und sagt: »Alles wird gut.« Vielleicht habe ich Granny erwartet. Oder jemanden wie Granny, wie ich sie in Erinnerung habe. Groß und voller Kraft. Ein Fels in der Brandung. Die Frau vor mir ist klein und zierlich, ihre Handgelenke sind schmal und ihre Wangen eingefallen. Ich sehe, wie sie ihre Arme um Indie schlingt, wie sich ihr rotes Haar mit Indies rotem Haar vermischt, und ich stehe immer noch da und Dusk legt mir seine Hand auf die Schulter. »Geh hinein«, sagt er, »rede mit ihr.«
Zögernd trete ich hinter Indie und gebe der Tür einen Schubs, damit sie ins Schloss fällt. Jetzt ist es ganz still, kein Laut dringt von außen hinein und man hört nur unseren Atem. Der Raum ist klein und zusätzlich mit einem Stück schwarzem Vorhang in zwei Hälften geteilt. Das Bett auf der linken Seite sieht unbenutzt aus, eine gehäkelte Decke ist nachlässig darübergeworfen, das Bett auf der anderen Seite ist zerwühlt, als hätte Emma bis eben darin gelegen und sich nur mühsam aufgerafft, um uns zu begrüßen. Es riecht stark nach Kräutern und kaltem Rauch.
»Kommt.« Emma schiebt Indie ein Stück von sich weg und geht die paar Schritte bis zu ihrem Bett, dabei zieht sie ihr Bein nach, das ihr anscheinend große Schmerzen bereitet. Sie lässt sich erschöpft auf das Bett sinken, während Indie und ich befangen stehen bleiben. Mein Kopf ist zu langsam, um die Dinge zu ordnen. Das ist die Frau, die uns initiieren soll. Ich weiß nicht, was mich so enttäuscht, so enttäuscht, dass ich hinauslaufen und mich heulend irgendwo verkriechen könnte. Ich weiß nicht einmal, ob »enttäuscht« das richtige Wort ist, denn ich vermisse Granny so sehr, dass alles in mir schmerzt. Ich vermisse ihre Augen, die mich immer liebevoll ansahen, ihre großen Hände, mit denen sie mein kleines Gesicht umfassen konnte und machte, dass ich mich geborgen fühlte. Nur bei Granny hatte ich dieses Gefühl, klein sein zu dürfen.
Ich kenne dich nicht, will ich sagen.
»Ich kenne dich aus meinen Träumen«, flüstert Indie.
Da huscht ein Lächeln über Emmas Gesicht, ein Lächeln, das ich schon so oft auf Indies Gesicht gesehen habe. Weich und verschmitzt. Die Falten in ihren Augenwinkeln kräuseln sich.
»Ich weiß.«
»Ich hab so oft von dir geträumt und ich wusste nie …« Indie bricht ab, um sich neben Emma zu setzen. Ich bleibe stehen, lehne mich gegen die Tür hinter meinem Rücken. Wieder umarmen sie sich lange und ich blicke zum Fenster hinaus. Die Vertrautheit zwischen ihnen nimmt mir die Luft. Ich verenge die Augen und konzentriere mich auf das Geschehen vor dem Wagen. Die Frauen sind näher gerückt, viele von ihnen haben nun Fackeln in den Händen, die gestromte Wölfin kann ich nicht entdecken, aber es ist ein gutes Gefühl, Dusk vor der Tür zu wissen. Ich versuche nachzurechnen, wie lange wir unterwegs waren, wie lange wir nun schon zum zweiten Mal fasten und wann wir mit der Initiation beginnen können. Ich schiebe den Vorhang noch ein Stück weiter zur Seite, der Mond steht fast voll am Himmel, die Nacht wird noch ewig dauern.
»Wie geht es jetzt weiter?«, sage ich schließlich und bin selbst über den spröden Klang meiner Stimme erstaunt.
»Sind euch die Engel gefolgt? Wissen sie, wo ihr seid?«
»Der Sucher weiß es. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er hier ist. Bis sie hier sind.«
»Dawna.« Emma streckt mir die Hand entgegen.
»Wir müssen handeln. Wir müssen die Initiation durchführen. Wir müssen …«, ich atme einmal tief ein, »wir müssen Mum holen, wir können sie nicht bei diesem Chakal lassen.«
»Eure Mutter ist auch hier.« Es ist keine Frage, sondern eine erleichterte Feststellung. Emma lässt ihre Hand wieder sinken.
Indie und ich nicken. In einer Ecke des Wagens steht ein kleiner Holzofen, doch es brennt kein Feuer. Es ist bitterkalt hier drinnen. Ich gehe hinüber und stopfe Holz hinein, wühle so
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