Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
fest und das finde ich fast noch unglaublicher als die Tatsache, dass Rag sich durch dieses so leicht durchschaubare Ablenkungsmanöver täuschen ließ.
»Wer war das?«, flüstert sie in mein Ohr und jetzt habe ich das Gefühl, sie wird ohnmächtig.
Ich antworte nicht, denn jemand rüttelt an dem schmalen Fenster genau über uns. Ich kann nicht erkennen, wer es ist, doch dann wird das Fenster aus dem Rahmen gehoben und ich sehe Indies rotes Haar.
»Knutscht ihr da drin oder was«, fährt sie uns an, dann streckt sie ihre Hand durch das Fenster.
Erst steigt Beebee auf die Toilette und lässt sich durch die schmale Öffnung ziehen. Dann ich. Ich schramme mit meinem nackten Bauch über den Fensterrahmen und verkneife mir einen Schmerzenslaut. Eis knirscht unter Indies Knien. Ich sehe in ihre Augen und weiß, dass sie nicht meinetwegen hergekommen ist. Sie hat Gabe getroffen. Indie dreht sich weg und schlägt den Kragen ihrer Jacke hoch.
»Hey«, sagt Beebee, »ich hab meine American-Apparel-Jacke noch da drinnen …«
»Wenn du hopsgehen willst, würde ich sie holen, Beebee«, sagt Indie trocken.
»Bist du mit dem Cherokee da?«, frage ich, aber Beebee verneint. »Ich hatte ein Date«, sagt sie verlegen und schlingt frierend die Arme um sich.
Ach was. Deswegen ist Miley also nicht mehr wichtig. Wie selbstlos. Indie drückt ihr den Schlüssel des Navara in die Hand. Der eiskalte Wind greift nach mir und treibt mir Schneeflocken ins Gesicht. Seit ich den Club betreten habe, hat es mindestens dreißig Zentimeter geschneit. Wir können nur hoffen, dass wir, ohne stecken zu bleiben, zurückkommen.
»Wir müssen weg, wenn sie im Club fertig sind, werden sie draußen nach uns suchen.« Wir laufen über den Parkplatz, am Navara warten wir, bis Beebee eingestiegen ist und den Motor anlässt, dann steigen wir in den Pick-up und schießen durch das Schneetreiben Richtung Whistling Wing.
46° 59’ 51,086’ N, 110° 57’ 34,29’ W
Mount Monarch
J etzt ist die Zahl voll. Sie lässt ihre Finger über die eingeritzten Striche über ihrem Bett gleiten und weiß, dass heute der Tag gekommen ist, der Tag, an dem sie das Lager verlassen muss. Sie fröstelt und zieht sich ihren Parka über, sie schnürt ihre Stiefel fest und für einen kurzen Moment gibt ihr das feste Gefühl um ihre Knöchel Halt. Es ist das Gefühl, stark zu sein. Alles richtig gemacht und dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen zu haben. Als sie den Vorhang zur Seite schiebt, sieht sie Elin, die vor ihrem Wagen das Feuer schürt. Nie lässt sie es ausgehen und der Geruch von Beifuß hängt schwer über dem Lager. Es hat keine Bedeutung mehr, denkt sie, Chakal wird mir geben müssen, was ich brauche.
Langsam schultert sie den kleinen Rucksack, mit allem, was sie noch besitzt, und öffnet die Wagentür, sofort beißt der Rauch in ihrer Kehle, kratzig, zum Schneiden dick, und Elin legt das Gewehr auf sie an.
»Lass mich durch«, sagt sie, »ab heute bist du mich los. Ich verlasse das Lager.«
Elin macht eine schnelle, katzengleiche Bewegung und stellt sich ihr in den Weg. Ihre mandelförmigen Augen verengen sich.
»Hier kommst du nicht raus.«
Sie stehen zwischen den Wagen. Die Verschläge drängen sich dicht an dicht, mit Brettern vernagelte Durchgänge, um sich gegen Wind und Schnee zu schützen, Planen und Wellblech über den Dächern und meterhoher Schnee, fest an die Wände der Wagen geklebt, Schnee, der bis zum Frühjahr nicht weichen wird. Elin hebt den Lauf des Gewehrs, bis er genau auf ihre Stirn, zwischen ihre Augen, zielt.
»Bring mich zu Cheb.«
»Cheb ist nicht zu sprechen. Nicht für dich.«
»Er hat geschworen, mich zu begleiten.«
»Cheb ist alt und krank.« Elins Stimme ist leise und bedrohlich. Ihr Zeigefinger schwebt über dem Abzug. »Chakal sagt nun, was zu tun ist.«
»Und Chakal hat dir gesagt, dass du mich hier festhalten sollst.«
Eisige Stille schwebt über dem Lager. Wie ausgestorben fühlt es sich an. Ihre Gedanken überschlagen sich. Das war nicht die Abmachung. Das ist nicht der Vertrag. Der Vertrag besagt, dass die Wölfe die Hüterinnen schützen und die Hüterinnen die Wölfe. Jetzt und immer.
Die stärksten Wölfe des Lagers werden dich begleiten, hört sie die Stimme ihrer Schwester, sie werden dich nach Whistling Wing zurückbringen und dort werden wir beenden, was vor so vielen Jahren angefangen wurde. Wir werden den Mädchen die Kraft geben und gemeinsam werden wir es zu Ende bringen. Es wird vorbei sein
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