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Dark Bd. 1 - Prinz der Dunkelheit

Titel: Dark Bd. 1 - Prinz der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lawrence
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zahlt sich nie aus, blind zu gehen. Erst recht nicht in der eigenen Burg, wo Vertrautheit so viel verschleiert – selbst wenn man Augen zum Sehen hat.«
    Wir blieben auf der Treppe stehen, blinzelten im Sonnenschein und nahmen die Wärme auf. Das düstere Unterrichtszimmer zu verlassen, brachte keine wirkliche Überraschung für mich. An vier von sieben Tagen hielten mich meine Studien an Lundists Seite, im Unterrichtsraum, dem Observatorium oder in der Bibliothek, aber oft verbrachten wir die Stunden auch mit der Jagd nach Wundern. Ob es im Arnheim-Saal um die Mechanik von Belagerungsmaschinen ging oder im Salzkeller um die Geheimnisse des Erbauer-Lichts, das ohne Flamme brannte – jeder Teil der Hohen Burg enthielt eine Lektion, die Lundist lehren konnte.
    »Hör nur«, sagte er.
    Ich kannte dieses Spiel. Lundist war der Ansicht, dass ein Mann, der beobachten kann, abseits steht. Ein solcher Mann kann Gelegenheiten erkennen, wo andere nur Hindernisse an der Oberfläche einer Situation sehen.
    »Ich höre Holz auf Holz. Übungsschwerter. Die Knappen beim Spiel«, sagte ich.
    »Manche würden es nicht Spiel nennen. Tiefer! Was sonst noch?«
    »Ich höre den Gesang von Vögeln. Lerchen.« Dort war es, ein Geräusch wie eine Silberkette, von weit oben, so süß und leicht, dass ich es zunächst überhört hatte.
    »Tiefer.«
    Ich schloss die Augen. Was gab es noch? An der Innenseite meiner Lider kämpfte Grün gegen Rot. Das Klacken der Schwerter, das Schnaufen und Keuchen der Knappen, das leise Kratzen von Schuhwerk auf Stein, der Lerchengesang. Was sonst noch?
    »Ein Flattern.« Am Rand des Hörvermögens. Vermutlich bildete ich es mir nur ein.
    »Gut«, sagte Lundist. »Was ist es?«
    »Keine Flügel. Es geht tiefer. Etwas im Wind«, sagte ich.
    »Es weht kein Wind auf dem Hof«, sagte Lundist.
    »Also weit oben.« Plötzlich fiel es mir ein. »Eine Fahne!«
    »Welche Fahne? Sieh nicht hin. Sag es mir einfach.« Lundist drückte mit dem Stock zu.
    »Nicht die Festfahne. Auch nicht die Königsfahne, denn die hängt an der Nordwand. Nicht die Farben, denn wir sind nicht im Krieg.« Nein, nicht die Farben. Jede Neugier in mir erstarb, als ich mich an Graf Renars Erwerb erinnerte. Ich überlegte: Wenn sie auch mich getötet hätten, welcher Preis wäre dann höher gewesen? Hätte mein Vater ein zusätzliches Pferd bekommen?
    »Nun?«, fragte Lundist.
    »Die Hinrichtungsfahne, Schwarz auf Scharlachrot«, sagte ich.
    So ist es immer mit mir gewesen. Antworten kommen, wenn ich aufhöre, darüber nachzudenken, wenn ich einfach nur spreche. Der beste Plan, den ich entwickeln kann, setzt sich bei meinem Handeln in die Tat um.
    »Gut.«
    Ich öffnete die Augen. Das Licht tat nicht länger weh. Die Hinrichtungsfahne wehte im Westwind.
    »Dein Vater hat befohlen, die Verliese zu räumen«, sagte Lundist. »Es wird ziemlich viel los sein am Saint-Crispin’s-Tag.«
    Das lief auf eine Untertreibung hinaus, wusste ich. »Hängen, Köpfen, Pfählen, meine Güte!«
    Ich fragte mich, ob Lundist versuchen würde, mich davon fernzuhalten. Es zuckte in meinem Mundwinkel bei der Vorstellung, dass er vielleicht glaubte, ich hätte nicht schon Schlimmeres gesehen. Bei den Massenhinrichtungen des vergangenen Jahrs hatte Mutter uns für einen Besuch bei Lord Nossar auf seinem Anwesen in Elm mitgenommen. William und ich hatten das Kastell Elm fast für uns allein. Später erfuhr ich, dass fast ganz Ankrath zur Hohen Burg gekommen war, um die große Schau zu sehen.
    »Schrecken und Unterhaltung sind die Waffen des Staates, Jorg.« Lundist sprach in einem neutralen Tonfall, und sein Gesichtsausdruck blieb unergründlich, abgesehen von den zusammengepressten Lippen, die darauf hindeuteten, dass jene Worte einen schlechten Geschmack hatten. »Hinrichtungen vereinen beide Elemente.« Er sah zur Fahne. »Bevor ich auf Reisen ging und Sklave des Volkes deiner Mutter wurde, wohnte ich in Ling. Im Äußersten Osten ist Schmerz eine Kunst.
    Herrscher bauen ihren Ruf und den ihres Landes auf die Extravaganz ihrer Folter. Sie wetteifern damit.«
    Wir beobachteten die Knappen bei ihren Übungen. Ein großer Ritter gab Anweisungen, manchmal mit der Faust.
    Einige Minuten lang blieb ich still und stellte mir vor, wie Graf Renar den Gnaden eines Foltermeisters in Ling ausgesetzt war.
    Nein – ich wollte sein Blut und seinen Tod. Ich wollte, dass es für ihn mit dem Wissen zu Ende ging, warum er starb, und wer das Schwert hielt, das ihn tötete. Aber der

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