Dark Bd. 1 - Prinz der Dunkelheit
Ihn oder seine Interessen?«
Nein, das hatte ich nicht. Eher war das Gegenteil der Fall. Wenn man meinen Weg während der vergangenen vier Jahre auf der Straße verfolgte, konnte man zu dem Schluss gelangen, dass ich Renars Interessen dienlich gewesen war. Die Brüder und ich hatten Baron Kennick immer wieder in die Fersen gebissen und dafür gesorgt, dass sein Ehrgeiz nicht zu groß wurde. In Mabberton hatten wir das Herz aus etwas gerissen, das vielleicht eine Rebellion geworden wäre.
»Ich habe seinen Sohn getötet. Ich habe ein Messer in Marclos gestoßen, Renars Fleisch und Erben.«
Sageous gestattete sich ein dünnes Lächeln. »Als du dich deinem Zuhause genähert hast, kamst du unter meinen Schutz. Die dich lenkende Hand fiel von dir.«
Stimmte das? Ich konnte keine Lüge in ihm erkennen. Ich betrachtete die Tätowierungen in seinem Gesicht, die vielen kleinen Schriftzeichen einer fremden Sprache. Er war wie ein offenes Buch, aber ich konnte ihn nicht lesen.
»Ich kann dir helfen, Jorg. Ich kann dir dein Selbst zurückgeben, deinen freien Willen.«
Er streckte die Hand aus, mit der Innenfläche nach oben.
»Freier Wille muss genommen werden«, sagte ich. Man greife im Zweifel auf die Weisheit anderer zurück, in diesem Fall auf Nietzsche. Manche Argumente erfordern ein Messer, wenn man der Sache ans Herz gehen will. Bei anderen ist es nötig, einen Schädel mit dem Stein der Weisen einzuschlagen.
Ich nahm Sageous’ Hand von unten und schloss die Finger um seine Knöchel.
»Meine Entscheidungen habe ich allein getroffen, Heide«, sagte ich. »Wenn jemand versucht hätte, mich zu lenken, wäre das meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen.«
»Bist du sicher?«
»Und wenn ich es bemerkt hätte … Oh, ich hätte dem Betreffenden eine Lektion in Schmerz erteilt, bei der selbst die Koten Männer des Ostens neue Tricks gelernt hätten.« Die Worte klangen hohl, als sie meine Lippen verließen, hohl und dumm.
»Nicht ich bin es gewesen, der dich geführt hat, Jorg«, sagte Sageous.
»Wer dann?« Ich drückte die Hand, bis ich die Knochen knacken hörte.
Sageous zuckte die Schultern. »Bitte um deinen Willen, und ich gebe ihn dir.«
»Wenn ein Zauber auf mir läge, würde ich jenen suchen, von dem er stammt, und ihn töten.« Ich fühlte ein Echo des alten Schmerzes, der mich auf der Straße plagte, ein Stechen von Schläfe zu Schläfe, hinter den Augen, wie von einem Glassplitter. »Aber es gibt keinen, und mein Wille gehört mir allein«, sagte ich.
Sageous zuckte erneut die Schultern und wandte sich ab. Ich senkte den Blick und stellte fest, dass ich meine linke Hand in der rechten hielt, und Blut sickerte zwischen meinen Fingern hervor.
26
Nach der Begegnung mit Sageous auf dem Westhof ging ich auf direktem Weg zur Messe. Das Treffen mit dem Heiden weckte in mir den Wunsch, Roms Kirche zu berühren, ein bisschen Weihrauch zu atmen und eine ordentliche Dosis Dogma zu mir zu nehmen. Wenn Heiden solche Macht hatten, schien es nur recht und billig zu sein, dass die Kirche eine eigene Art von Magie hatte, die sie den Würdigen schenken konnte, und hoffentlich auch den Unwürdigen, die zum Gottesdienst erschienen. Abgesehen davon brauchte ich ohnehin einen Priester.
Wir betraten die Kapelle, wo Pater Gomst am Altar stand. Das Klacken unserer Stiefel auf dem Marmorboden beendete den Chorgesang. Nonnen wichen in Schatten zurück, erschrocken von den lüsternen Blicken der Brüder und vermutlich auch von unserem Gestank. Gains und Sim nahmen die Helme ab und verbeugten sich. Die anderen sahen sich nach etwas um, das es wert war, gestohlen zu werden.
»Entschuldige die Störung, Pater.« Ich tauchte die Hand ins Becken neben dem Eingang und beobachtete, wie mir Weihwasser das Blut von den Fingern wusch. Es brannte.
»Prinz!« Der Priester legte sein Buch aufs Pult und erbleichte. »Diese Männer … es gehört sich nicht.«
»Ach, sei still.« Ich schritt durch den Mittelgang, den Blick an die wundervoll bemalte Decke gerichtet, und drehte mich langsam, mit erhobener, tropfender Hand. »Sind sie nicht alle Gottes Söhne? Reumütige Kinder, die Vergebung suchen?«
Ich blieb vor dem Altar stehen und sah zu den Brüdern an der Tür. »Leg das zurück, Roddat, oder du lässt beide Daumen in der Opferbüchse.«
Roddat zog einen silbernen Kerzenhalter unter seinem grauen Mantel hervor.
»Wenigstens der dort.« Mit einem zitternden Finger zeigte Pater Gomst auf den Nubier. »Der gehört nicht zu
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