dark canopy
würde.«
»Er weiß davon?«
Neél nickte. Seine Haarspitzen glitten dabei über seine Schultern nach vorne, sodass ihm eine Strähne vors Gesicht fiel. »Ich bin Anfang des Winters aufgegriffen worden, als ich versucht habe, Informationen aus einem Fischer herauszupressen. Es hat mächtig Ärger gegeben, aber Cloud hat die Sache gerichtet. Er war stinksauer auf mich. Cloud ist immer sehr um seinen Ruf bemüht, weil er für ein Präsidentenamt in der Triade kandidiert. Die Präsidenten ernennen nach dem Chivvy ihre Nachfolger, darum darf er es sich mit ihnen nicht verderben. Verstehst du?«
Das tat ich, wenn ich auch sonst nicht viel verstand.
Im Licht der Nacht sah Neél nicht aus wie ein Percent. Er schien so menschlich, so schmerzhaft menschlich. Wie konnte das sein? Ich hätte am liebsten vor lauter Zorn über die Täuschung etwas an der Wand zerschlagen und gleichzeitig konnte oder wollte ich mich nicht bewegen. Er hätte eine Ewigkeit dort sitzen können. Seine Nähe hatte jetzt, nachdem er seine Hand weggenommen hatte, etwas Tröstliches - hey, das musste erlaubt sein, er wollte mich immerhin retten. Ich fühlte mich wie kurz vor dem Moment, in dem man erzittert, aber mir war nicht kalt und das Gefühl blieb.
»Dann war ich eine Art Ablenkung, die dich von Flagg’s Boulder fernhalten sollte?«, fragte ich, nur damit er weitersprach. Meine Stimme war ganz rau.
Neél grinste, seine Zähne leuchteten hell in seinem Gesicht auf. »Ja, bloß dass ich vor Cloud nie zugeben würde, dass der Unsinn - wie er es nennt - einen Namen hat.«
»Der Name stammt aus einem Buch, sagt Graves.«
»Ja, der verrückte Graves und seine Bücher! Er reißt die Seiten heraus und verbrennt die Umschläge, hat er dir das erzählt?«
Ich schüttelte verwirrt den Kopf. »Nein. Warum das denn?«
»Er hat Angst, jemand könnte den Namen des Schriftstellers für neue Percents stehlen. Dazu gehört, das entsprechende Buch zu vernichten.«
»Dann macht er es lieber kaputt?«
»Nein. Er macht nur den Namen unkenntlich. Das Buch selbst nicht. Er fertigt sogar Abschriften an, um es zu erhalten, falls das alte Papier sich einmal auflöst. Er hat durch die Bücher viel über euch gelernt.«
»Über uns?«
»Menschen.«
Ich bedauerte, selbst nie viel gelesen zu haben. Vielleicht wüsste ich dann auch mehr über uns Menschen. Vielleicht würde ich mich selbst besser verstehen. Dieses warme Gefühl im Bauch zum Beispiel. Dieses ... Wohlbefinden, das nicht sein sollte. Zumindest nicht hier und nicht jetzt.
»Wie geht es deiner Hand?«, fragte Neél und tippte mit Zeige-und Mittelfinger gegen den Verband.
»Nicht der Rede wert.« Die Wunde war rot und angeschwollen, aber das war vermutlich normal, denn Minas Salbe hatte beim Aufträgen wie Essig gebrannt. Es pochte. Ich schenkte dem keine Aufmerksamkeit. Es war nur ein Mensch gewesen, der mich gebissen hatte. Ein Kind. Welcher Rebell, welcher Soldat jammerte herum, weil er von einem Kind gebissen worden war?
»Es riecht komisch«, meinte Neél. Die glatte Haut an seiner Brust vibrierte.
Rasch steckte ich die Hand unter die Decke. »Entschuldige. Das ist bloß die Salbe.«
»In Ordnung. Lass es mich morgen ansehen, ja?«
»Das ist wirklich nicht nötig, es ist -«
»Soldat!«, sagte er leise, aber scharf und fiel von einer Sekunde auf die andere in seinen Befehlston zurück, den ich nach einem einzigen Tag schon fast vergessen hatte. Es versetzte mir einen Stich. »Das ist keine Bitte, keine Frage und kein Interesse an deiner Meinung. Es ist ein Befehl und der wird befolgt.« Im nächsten Moment stand er auf, wandte sich ab und ging in harten Schritten zu seinem Bett.
Ich blieb reglos und kaute minutenlang auf einer patzigen Antwort herum, um sie mir am Ende doch zu verkneifen.
Neél war es, der plötzlich in die Stille sprach. »Was ich dich noch fragen wollte. Willst du ein eigenes Zimmer?«
Meinte er das ernst?
Völlig überrumpelt schoss nun doch etwas Unfreundliches aus meinem Mund. »Das wäre besser. Dann störe ich dich auch nicht ständig, indem ich still daliege und ins Dunkel gucke.«
»Gut«, erwiderte er kühl.
»Gut!«, wiederholte ich und drehte mich um.
• • •
Ich erwachte von meinem eigenen schmerzvollen Stöhnen, mein Kopf voller Hitze. Für einen Moment wusste ich nicht, wo ich war.
»Hey. Joy, was ist?«
Dass das Neél war, kam mir erst nach einigen hilflosen Augenblicken in den Sinn.
»Ich ... ich habe geträumt.« Mir war komisch. Mein Gesicht
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