Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
konnte ich nur noch mit links fangen. Sie waren nicht zählbar, die Pfeile, die an mir vorbeigesaust waren, bis ich die geforderten fünf von zehn aus der Luft geholt hatte.
    Ich dachte an Neéls Lippen an meiner geschundenen Haut, an sein »Es tut mir leid«, das ich auf den Striemen gespürt, aber nicht gehört hatte. Fast hätte ich ihm eine Ohrfeige dafür verpasst, doch dafür war ich viel zu erschöpft. Er hatte ja recht. Ich musste trainieren. Mich nun zu schonen, würde sich rächen, wenn es hart auf hart kam.
    Ich drehte das Wasser ab, tupfte mir die Hände an meinem Hemd ab und verteilte etwas von Minas Ringelblumensalbe in meinen Handflächen. Dann ließ ich mich auf Neéls Bett fallen. Es war noch ganz zerwühlt, roch nach der betörenden Mischung, die sich aus seinem und meinem Körpergeruch ergab, und brachte mich zum Lächeln. Neél hatte sich verändert, das betraf nicht nur sein Bett, das er früher gleich nach dem Aufstehen mit akribischer Sorgfalt gemacht hatte. Ich starrte auf den Schlüssel, der von innen im Schloss der Zimmertür steckte, und seufzte. Es würde ein langer Tag des Wartens werden. Ich fühlte mich nutzlos und so eingesperrt wie schon lange nicht mehr.
    »Schließ von innen ab«, hatte Neél befohlen, als er gegangen war. »Widden wird nicht erfreut sein. Lass niemanden rein außer mir. Niemanden, Joy, hast du verstanden?«
    »Wird es lange dauern?«
    »Das solltest du hoffen. Wenn ich schnell zurückkomme, hat es nicht geklappt.«
    Er kam nicht schnell zurück. Das Warten zerrte an meinen Nerven. Es kam mir vor, als würde er überhaupt nicht mehr zurückkommen. Wenn ich blinzelte, sah ich auf den Innenseiten meiner Lider grässliche Bilder. Neél. Mit einem Loch im Kopf und im Todeskrampf zuckenden Füßen lag er im Staub, Widden hoch aufgerichtet über ihm.
    Ich hätte niemals zustimmen dürfen, im Gefängnis zu bleiben, während er für mich dieses Risiko einging. Ich sollte an seiner Seite sein, die Sache gemeinsam mit ihm durchziehen. Doch ich wusste genau, wie naiv mein Wunschdenken war. Es gab keine gemeinsamen Kämpfe. Ob wir miteinander schliefen oder nicht - ja, selbst, ob wir uns liebten oder nicht - machte keinen Unterschied.
    Wir standen auf unterschiedlichen Seiten.
    • • •
    Irgendwann am frühen Abend klopfte es.
    »Wer ist da? Neél?«
    Ich bekam keine Antwort. Stattdessen wurde erneut geklopft. Dreimal, leise, aber energisch. Tocktocktock.
    »Wer. Ist. Da?«
    Erneute Stille. Und dann wieder das Klopfen. Ich hockte mich aufs Bett und hielt mir die Ohren zu. Warum waren die verfluchten Luken in den Türen nur von außen zu öffnen?
    Ich stellte mir vor, wie die Klappe aufgeschoben wurde und irgendein Percent ohne Gesicht mir sagte, dass Neél verletzt oder tot war. Würde man mir vielleicht Beweise bringen? Sein blutverschmiertes Hemd? Seinen abgeschnittenen Zopf? Oder gar den ganzen ... Nein! Ich musste aufhören, mich verrückt zu machen. Neél hatte recht, Gefühle durften nicht dazu führen, dass ich schwach und hilflos wurde.
    Es klopfte wieder. Warum sagte derjenige denn nichts? Und dann kam mir eine Idee. War es vielleicht die graue Frau, die nicht sprach? Ich war am Vormittag zum ersten Mal seit Langem nicht bei ihr gewesen. Womöglich wollte sie nur nach mir sehen. Dummerweise konnte ich nicht nachsehen. Neéls Anweisung war eindeutig gewesen.
    »Es ist alles in Ordnung!«, rief ich. Ich stand auf, ging zur Tür und lehnte mich dagegen. »Alles wird gut.«
    Es klopfte nicht noch einmal.
    • • •
    Neél kam am späten Abend. Ein Veilchen zierte sein linkes Auge und er trug eine aufgeplatzte Lippe sowie ein überhebliches Grinsen zur Schau.
    »Es hat geklappt!«, rief ich, ohne ein Wort von ihm abzuwarten. Ich war so erleichtert, dass mir Tränen in die Augen schossen. »Oje, was ist passiert? Bist du verletzt?«
    »Es hat geklappt«, bestätigte er. Offenbar fand er, meine Nerven könnten noch ein wenig weiter strapaziert werden.
    »Und dann? Was dann? Wie geht es Amber?«
    Er setzte zu einer Antwort an, aber - bei der Sonne - warum ließ er sich denn so viel Zeit?
    »Ist Widden wütend geworden?« Ich strich mit den Fingerspitzen über die Schwellung an seinem Auge. Au, verdammt, es tat schon vom Hinsehen weh.
    »Widden? Ja, der war auch wütend. Aber das hier«, er deutete auf sein lädiertes Gesicht, »war deine Freundin Amber. Meine ... Frau. Oder so was. Nenn es, wie du willst.«
    »Oh«, machte ich, wenig geistreich. Er hatte es tatsächlich

Weitere Kostenlose Bücher