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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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erwischt. Was mochten sie ihm angetan haben? Ich wusste nicht einmal, ob er noch am Leben war.
    Wider Willen musste ich erneut an Matthial denken. An seine schwarze Silhouette vor dem Dunkelblau des Nachthimmels. An das Sirren, mit dem seine Bolzen die Luft durchschnitten hatten. An seine Lippen, weich und tröstend warm auf meiner Haut. Bei der Sonne, Matthial, du musst in Sicherheit sein!
    »Beeilung!«, herrschte mich Cloud an. Ohne es zu bemerken, war ich zurückgeblieben.
    Ich folgte ihm, blinzelte die Tränen fort und zog die Nase hoch. Es roch nach Schweiß, meinem eigenen und dem von Männern. Menschenmännern, denn Percents rochen anders. Vielleicht waren die männlichen Gefangenen schon verhökert worden. Ich verschloss meine Lippen und verbot mir jedes Wort. So viel hatte ich aus der Auseinandersetzung mit Hooke herausgehört: Cloud antwortete nicht auf Fragen. Was er von mir verlangte, würde ich früh genug erfahren, und wie es den anderen ergangen war, konnte ich nur selbst herausfinden.
    Cloud ging in weit ausholenden Schritten vor mir her. Der Gedanke, ich könne versuchen zu flüchten, schien ihm wohl abwegig, denn er sah sich nicht um und wurde auch nicht langsamer, wenn ich ein wenig mehr Abstand zu ihm ließ. Ich fragte mich schon, ob ich einfach immer langsamer gehen konnte, bis er irgendwann ohne mich um eine Ecke biegen würde. Ich ging barfuß, er hörte allenfalls das Geräusch, mit dem meine schmutzig nassen Hosenbeine über die speckigen Teppiche schleiften. Würde er überhaupt bemerken, wenn ich plötzlich weg wäre? Bevor ich es ausprobieren konnte, erinnerte ich mich wieder an ihre olfaktorische Haut. Er roch mich. Dass ich stank wie ein herrenloser Hund, machte es ihm einfach. Lautlos seufzte ich und schloss dichter zu ihm auf.
    Er führte mich zum Ausgang, wo eingerahmt in die Schwärze der Nacht ein Varlet auf ihn wartete. Ich fuhr zusammen, was nicht allein an der eisigen Luft lag, die hereindrang. Einen Moment lang hatte ich ein grässliches Déjà-vu, als hätte ich den jungen Percent schon einmal gesehen. Er sah aus wie ... Nein! Das war nicht möglich. Der Varlet, der mich Jahre zuvor im Wald verschont hatte, musste inzwischen älter sein. Dieser hier sah ihm bloß sehr ähnlich. Kein Wunder - diese schrecklichen Kreaturen waren individuell wie die Masten der Straßenlaternen. Sie hatten ihre Kratzer und Beulen an unterschiedlichen Stellen, aber im Grunde waren sie alle identisch. Warum nur starrte der hier mich an, als wäre ich das Monster von uns beiden?
    »Was ist das?«, fragte er. Vielleicht meinte er auch: »Was soll das?« Er nuschelte und die Worte verhedderten sich in seinem Mund.
    Diesmal beantwortete Cloud die Frage. »Du wolltest einen Soldaten.«
    »Kein Mädchen.«
    »Sie ist so gut wie jeder andere.«
    Der Varlet warf die Hände in die Luft, auch meine Arme schossen nach oben - ein Reflex, um meinen Kopf zu schützen, sollte er mich schlagen. Das tat er nicht. Stattdessen spuckte er mir vor die Füße.
    »Wie kannst du nur?«, presste er durch die Zähne und obwohl er mich dabei ansah, meinte er Cloud.
    »Neél«, sagte Cloud schlicht, das Gesicht so unbeseelt wie schon die ganze Zeit. »Schluss damit.«
    Was auch immer die Percents hier spielten, auch der, den Cloud Neél genannt hatte, hielt sich an die Regel, Cloud zu gehorchen. Er warf mir einen letzten geringschätzigen Blick zu. Ich schwieg, als hinge mein Leben und Wichtigeres an meinem Schweigen.
    »Die Haube«, wies Cloud ihn an.
    Neél zog einen dunklen Stoff aus seiner Umhängetasche. Für einen Moment stand er unentschlossen vor mir, dann drückte er Cloud den Stoff in die Hand. Es war ein Sack und ich schrie auf, als ich spürte, wie sich um meinen Hals etwas zusammenzog. Ich griff danach, bekam die Finger unter ein Seil, das sich eng um meinen Hals schmiegte und den Sack fest an seiner Stelle hielt. Ich zerrte daran, bekam Panik zu ersticken. Es war dunkel, der Stoff kratzte und stank. Die Luft schien so schwer, dass sie sich kaum atmen ließ. Nur peripher registrierte ich, dass man auch meine Hände zusammenband. Wenigstens erlaubten sie mir weiterhin, mit den Fingern etwas Platz zwischen dem Seil und meiner Kehle zu schaffen.
    »Los!«, drang eine Stimme gedämpft durch den Stoff. Ich konnte nicht mehr ausmachen, wer das sagte. Jemand zupfte am Seil und ich stolperte aus dem Haus, folgte dem Zug.
    Eisige Kälte des Asphalts fraß sich in meine nackten Sohlen. Nach wenigen Schritten spürte ich die

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