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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Ausbilder.«
    »Kennst du ihn?« Ich wusste nicht recht, warum ich ihn das fragte. Aber ich hatte mir die letzten Jahre immer wieder heimlich Gedanken über den Varlet gemacht. Nun etwas über ihn zu erfahren, fühlte sich eigenartig an. Bedrückend, aber gleichzeitig auch nicht. Es war, als würde ich jemanden Wiedersehen, den ich zwar nicht mochte, aber erleichtert war, weil er noch lebte. Tat er das? Neél hatte in der Vergangenheit von ihm gesprochen. Aber vielleicht hatten sie keinen Kontakt mehr.
    »Flüchtig«, brummte er. »Ich war noch jünger damals und lebte bei Cloud. Wir verbringen unsere Kindheit in der Familie unserer Ausbilder. Jones lebte bereits im Gefängnis. Dort gehen alle Varlets hin, wenn sie bei den Familien rausmüssen, aber noch kein eigenes Haus beziehen dürfen.«
    Ich erinnerte mich. Mina hatte mir davon erzählt.
    Neél berichtete, dass er mal mit Jones zusammen trainiert hatte, aber das sei schon alles gewesen.
    Ich bemühte mich, ihn meine Irritation nicht spüren zu lassen. So viel hatte er noch nie mit mir gesprochen. Für einen Moment atmete ich leichter, aber dann gewann mein Misstrauen die Oberhand. Es war auszuschließen, dass er sich nach dem frustrierenden Zusammentreffen mit Cloud nun mit mir verbrüdern wollte. Womöglich gab es die Redewendung Der Feind meines Feindes ist mein Freund auch bei den Percents, doch in unserem Fall galt das definitiv nicht. Ich war kein Feind, auch wenn ich es wahrhaft gern gewesen wäre. Aber so viel Wert hatte ich nicht. Ich war nur eine Gefangene.
    • • •
    Als wir den üblichen Platz außerhalb des Stadtzauns erreicht hatten, wurde mir mein Status mit Deutlichkeit vor Augen geführt. Das sogenannte »Training« war nicht so effektiv, wie Neél erwartete, aber das bewirkte nicht, dass er etwas an seiner Vorgehensweise änderte.
    Er knotete den schrecklichen Strick von meinem Handgelenk, gab mir ein paar Atemzüge Vorsprung und fing mich wieder ein, ehe ich den Wald erreicht hatte.
    Wie jeden Tag. Immer wieder. Und wieder. Und wieder.
    Es war ermüdend.
    Der Zeitpunkt war gekommen, an dem mein Puls kaum mehr schneller schlug als bei einem der Ausdauerlauftrainings, die ich früher mit Amber gemacht hatte. Die Hoffnung, entkommen zu können, war gestorben. Die Angst allerdings ebenso.
    »Lauf«, forderte Neél, nachdem er mich eingefangen und an den Schultern wieder in die Vertikale gezerrt hatte. Er gab mir einen halbherzigen Schlag gegen den Oberarm, um mich anzutreiben.
    Ich war nur noch genervt.
    Mein Seufzen klang patzig in meinen eigenen Ohren, ich stapfte drei Schritte von ihm weg, wandte mich dann zu ihm um. »Was soll das hier eigentlich bringen?«
    »Lauf!«
    »Warum?« Ich trat gegen einen Stein, Schnee stob auf und ich musste daran denken, dass Amber als Kind ein sehr außergewöhnliches Spielzeug gehabt hatte: Es war eine Glaskugel mit Flüssigkeit und künstlichem Schnee darin. Man schüttelte sie und die Flocken flogen um ein kleines Holzhaus, eins mit Zäunchen drum herum und Gardinen hinter den Fenstern, sodass man nicht hineinschauen konnte.
    »Lauf endlich!«
    Aber warum? Ich fühlte mich wie in einer Schneekugel gefangen, die der Percent nach Belieben schüttelte, um mich dann zu beobachten. Nur dass es in meiner Schneekugel keine Wände aus Holz gab, kein Zäunchen, keine Fenster und keine Gardinen. Ich war nackt hinter dem Glas.
    »Verdammt, tu endlich, was ich sage!« Er brüllte inzwischen, stand aber unbeweglich da. Schnee fing sich in seinem Haar und seinen Augenbrauen. Das weiße Licht meißelte seine Züge schärfer, als sie ohnehin waren, bis es schien, als wäre er aus Sandstein statt aus Fleisch und Blut.
    Ich wurde ganz leise. »Nein.« Ich hob eine Handvoll Schnee auf, spürte, wie er in sich zusammenschmolz und meine Hand taub werden ließ.
    Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie der Percent den Kopf senkte und den Mund öffnete. Vermutlich fletschte er die Zähne, aber es sah aus, als würde er grinsen. »Damit wir uns nicht falsch verstehen. Ich bitte dich nicht. Ich gebe Befehle.«
    »Damit wir uns nicht falsch verstehen«, flüsterte ich so leise, dass er es vielleicht ahnen, sicher aber nicht hören konnte. »Das geht mir am Arsch vorbei.«
    In der nächsten Sekunde wurde mir klar, dass er es doch gehört haben musste. Er rührte sich nicht, aber von einem auf den anderen Moment schlug die Stimmung um. Mir wurde schlagartig wieder bewusst, dass ich für den Percent nichts als ein Problem darstellte, das

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