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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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später langsamer wurde, hörte ich ein weiteres Trommeln. Ein Keuchen, das nicht von mir kam. Schnauben.
    Und dann donnerte zwanzig Schritt von mir entfernt das Pferd durchs Geäst. Im Sattel saß ein Percent. Nicht Neél, sondern einer, den ich im ersten Moment nicht zuordnen konnte. Sie sahen doch alle gleich aus. Aber sein selbstzufriedenes Grinsen kam mir dennoch bekannt vor.
    Ich hatte keine Zeit zum Überlegen. Meine Flucht durfte nicht umsonst gewesen sein.
    »Nein!« Ich versuchte zu schreien, um mir selbst zu glauben, aber mir gelang nur ein heiseres Krächzen.
    Wieder rannte ich. Diesmal fühlten sich meine Beine schwer und meine Füße wund an. Die eisige Luft brannte sich durch meine Atemwege und schien doch nicht genug Sauerstoff zu liefern. Ich japste bei jedem Atemzug, während ich weiterstolperte. Gegen das Pferd hatte ich keine Chance. Ich stürzte ins Unterholz, wo ihm seine ausgreifenden Galoppsprünge nichts nützten, doch auch ich kam im Gestrüpp nur langsam voran. Dornige Zweige schlangen sich um meine Knöchel, rissen an meiner Hose und der Haut darunter und verbissen sich in meine Hände. Der Wald verbarg mich nicht, eher schien er sich gegen mich verschworen zu haben. Der Percent trieb das Pferd ungerührt hinter mir her und schon ragte es dicht hinter mir auf. Schaum flog von der Kandare auf meine Jacke, als es nervös den Kopf hochriss. Seine Augen rollten, ich sah fast nur noch das Weiße. Das Tier dampfte vor Schweiß.
    Sein Reiter zeigte keinerlei Schwäche. »Bleib stehen, Soldat!«, rief er mir zu. Die Stimme troff vor Spott.
    Ich dachte nicht daran. Ich war Neél entkommen - es war mein Recht, zu fliehen. Es durfte nicht umsonst gewesen sein.
    Matthial ... sein Name streifte durch meine Gedanken. Ich musste ihn Wiedersehen. Unbedingt.
    Zwischen einem weiteren Dornengestrüpp und einem vermoderten Baumstumpf entdeckte ich einen armdicken Knüppel auf dem Boden. Beim Versuch, ihn im Lauf aufzuheben, riss es mich von den Füßen, denn das Holz hing an Flechten und Wurzeln. Sie gaben erst nach schier endlosem Zerren nach. Mit letzter Kraft schleuderte ich den Knüppel, sodass er dem Pferd vor die Brust flog. Es wieherte schrill und bäumte sich auf. Der Percent im Sattel stieß einen Fluch aus. Doch im nächsten Augenblick hatte er das Pferd wieder unter Kontrolle. Er trat ihm die Fersen in die Flanken und zwei Sprünge später - mir blieb keine Zeit mehr, um auf die Beine zu kommen - war es neben mir.
    Ich kniete am Boden und schaute in den Lauf einer Pistole. Es war vorbei. Gegen den Percent hätte ich kämpfen können, selbst gegen das Pferd hätte ich kämpfen können. Nicht aber gegen die Pistole. Ich glaubte, die Kugel am Ende des Laufs glitzern zu sehen wie eine schwarze Schneeflocke.
    Resigniert senkte ich den Kopf. Das Pferd trat unruhig von einem Huf auf den anderen. Die Dornen hatten das Fell und die Haut an seinen Fesseln aufgerissen. Blut rann seine Hufe hinab. Ich heftete den Blick darauf, sah nicht auf, als der Percent absaß, auch nicht, als er mir die Hände fesselte und einen Strick um den Hals legte. Er beugte sich zu mir, bis sein Mund fast mein Ohr berührte. Ich schloss die Augen.
    »So leicht mache ich es euch nicht«, wisperte er. »Ich beobachte dich, Soldat. Versucht das nie wieder.«
    Dann erhob er sich und brüllte: »Steh auf!« Ich gehorchte sofort -das heißt: So schnell ich eben konnte. Meine Glieder waren so schwer. Statt Blut floss zäher Schlamm durch meine Adern.
    Der Percent stieg in den Sattel, wendete das Pferd und ich musste hinter ihm herlaufen, wenn ich nicht mitgeschleift und stranguliert werden wollte. Mein Kopf fühlte sich an wie eine einzige heiße, pulsierende Wunde, sodass es mir nicht gelang, einen Sinn in die Worte zu weben, die er mir hingeworfen hatte wie zusammenhanglose Fäden. Es fiel mir schwer genug, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich musste meinen Körper zu jeder Bewegung zwingen. Linkes Bein, rechtes Bein, linkes, rechtes, weiter ... einen Meter noch ... nur noch einen ... gleich ist es geschafft. Gleich ist alles geschafft.
    Ich belog mich selbst. Die Wahrheit war zu schwer zu tragen. Mein Puls donnerte gegen das Seil an, das meinen Hals umschlang, es blockierte den Blutstrom in meinem Kopf. Mir schwindelte. Ich konnte nicht mehr schlucken. Mein Mund wurde trocken und trotzdem lief mir Speichel über die Lippen. Ich spürte meine Hände nicht mehr und das Laufen fühlte sich an, als trottete ich auf rohem Fleisch

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