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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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hatte den Abfluss fast freigelegt. Zwar war auch im Innern hinter dem Eisengitter Schlamm, aber nicht so viel, dass das Wasser nicht daran vorbeifließen konnte und den Schlamm damit nach und nach abtragen würde. Ich kam gut voran. »Er sieht immer her.«
    Ich meinte Neél. Ich spürte das, ohne hinzusehen, und so stark, wie ich das bisschen Elektrizität in der Luft wahrnahm, das mir verriet, wie nah das Gewitter war.
    Der Soldat sah sich flüchtig in die falsche Richtung um und schüttelte den Kopf. »Ich bin Brad.«
    »Joy.«
    »Freut mich sehr.«
    Mich würde es freuen, wenn er arbeiten würde, statt mich dabei anzustarren, wie ich alles allein machte. »Und du gehst tatsächlich ins Chivvy, ja?«
    »Du doch auch«, erwiderte ich gereizt und schämte mich im gleichen Moment dafür. »Entschuldige. Aber was ist so besonders daran?«
    Er rieb die Lippen gegeneinander. »Hast du schon mal ein Chivvy gesehen?«
    »Ich bin nicht aus der Stadt, nein«, antwortete ich. Der Stolz schlich dabei ungewollt in meine Stimme. Tatsächlich hob Brad erstaunt die Brauen. Eine Rebellin hatte er offenbar nicht erwartet.
    »Während des Chivvys bin ich meist mit etwas anderem beschäftigt«, fügte ich hinzu. Ich feierte dann meinen Geburtstag, der zwanzigste würde es diesmal sein.
    Brad ging nicht darauf ein. »Es treten für gewöhnlich keine Frauen an«, meinte er vorsichtig. »Wir fragen uns alle ...«
    Na, fantastisch. Ich war zum Gesprächsstoff unter meinen eigenen Kameraden und Mitgefangenen geworden. Gab es irgendwo eine Gruppe von Menschen auf der Welt, für die ich nicht etwas Seltsames, Skurriles darstellte? Gab es irgendeinen Ort, an dem ich einfach nur ein normaler Teil der Gemeinschaft war?
    »Was fragt ihr euch?« Ich blinzelte, bis meine Augen nicht mehr brannten.
    »Na ja.« Es donnerte. Irgendwo klirrten Glasscheiben durch die Vibrationen. Oberhalb des grauen Himmels leuchtete ein Blitz. »Warum sie dich im Chivvy riskieren«, fuhr Brad fort, »und nicht, wie die anderen Frauen, im Optimierungsprogramm einsetzen.«
    »Weißt du, was ich mich frage? Warum du nicht arbeitest. Vielleicht bist du scharf auf Stress mit den Percents? Du machst sie wütend.« Ich schoss ihm einen knappen Blick zu und sah ihn spöttisch grinsen.
    »Haben die denn je gute Laune?«
    »Selten.« Wider Willen musste ich schmunzeln. Ich hatte keine Ahnung, was dieses Optimierungsprogramm war, von dem er gesprochen hatte. Er schien sehr viel mehr zu wissen als ich. Ich wollte ihn gerade fragen, als sich sein Gesicht veränderte und vollkommen ausdruckslos wurde. Er kippte auf die Knie und wühlte mit den Händen im Matsch, so uneffektiv wie ein spielendes Kind. Ich sah auf und erkannte den Grund. Neél, über und über mit schwarzem Schlamm bedeckt, durchbohrte Brad mit seinem Blick. Im täglichen Umgang mit ihm hatte ich fast vergessen, wie einschüchternd er aussehen konnte.
    »Alles in Ordnung hier?«
    Brad stammelte ein dreifaches Ja, aber Neél meinte nicht ihn. Ich nickte bloß.
    »Wir haben den Gulli freigelegt«, beeilte sich Brad zu sagen und klimperte mit den Lidern wie ein Hund, der sich ein Leckerli erhofft. Von seinem Spott war nichts mehr übrig, er wurde vor Panik ganz blass um die Nase.
    Neél beachtete ihn nicht. Sein Blick ruhte auf mir. Er seufzte lautlos. Dann sagte er: »Komm, Joy. Du hast hier genug getan.«
    Interessant. Es passte ihm offenbar nicht, dass ich mich mit den anderen Soldaten unterhielt. Das war ärgerlich, aber es machte mich auch neugierig. Was störte ihn daran schon wieder? Warum durften die anderen Soldaten offenbar Zeit miteinander verbringen, ich mich ihnen aber nicht anschließen? Ich lächelte Brad zu, folgte Neél aber ohne Widerspruch. Zunächst.
    Für den restlichen Tag teilte er mich im Innenhof des Gefängnisses ein. Dort gab es nicht viel zu tun, nur etwas Treibgut musste aufgesammelt und sortiert werden. Das Holz in einen Heizungsraum, in dem es trocknen und zu Brennstoff verarbeitet werden konnte. Metalle und Eisen in eine Tonne, Glas in eine zweite, andere Nützlichkeiten in die dritte und der weitaus größte Rest auf einen Haufen, der irgendwann verbrannt oder in den Kanal gekippt werden würde. Die Arbeit war anspruchslos und langweilig, außerdem war ich allein. Vermutlich hätte ich stundenlang nur gegrübelt, doch dann lenkte mich ein Fund ab, der von einer auf die andere Sekunde meine Welt auf den Kopf stellte.

18
    die welt ist größer, als wir denken -
weit draußen und tief in

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