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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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verstanden. Ich reiß mich zusammen.«
    Mars würde zurechtkommen. Er war zäh, fand immer einen Weg. Janett war es, die Matthial Sorgen bereitete. Sie hatte sich der Amber-Rettungsaktion damals anschließen wollen, wie sie sich ihren Brüdern immer und überall anschloss, war aber nicht am Treffpunkt erschienen. Danach hatte er kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Nicht weil er sich von ihr verraten fühlte, sondern eher, weil er so erleichtert gewesen war, dass sie klüger gehandelt und sich aus den Kämpfen herausgehalten hatte. Er war nicht in der Lage gewesen, ihr in die Augen zu sehen. Es hatte keinen Abschied gegeben.
    Nun, da er wusste, wie es um Mars’ Clan stand, keimte der Impuls, seine kleine Schwester beschützen zu müssen, wieder in ihm auf. Janett war so hilflos. Sie war ganz anders als Joy, die wenig redete, aber keinen Moment zögerte, wenn es darauf ankam zu handeln. Janett diskutierte immer und besprach ihre Pläne bis ins kleinste Detail. Wenn es ernst wurde, reichte aber meist ein »Buh!« und sie versteckte sich schreiend hinter dem Rücken ihrer Brüder. Er musste lächeln, als er daran dachte, wie oft Josh und er von Mars Prügel bezogen hatten, die eigentlich Janett verdient hätte.
    Es mochte seinem Vater gegenüber ungerecht und hart sein, aber Matthial kam nicht um das Gefühl herum: Es war falsch, dass seine Schwester nicht hier war.
    Rick leckte das Salz von seinen nervös verschwitzten Fingern.
    »Jetzt sind wir also wieder ein richtiger, kleiner Clan. Was mögen die anderen wohl von mir erwarten, Rick? Menschen erwarten immer so viel, jeder tut das. Bloß ... niemand kann all die Erwartungen erfüllen, die die anderen in ihn setzen. Jeder enttäuscht jeden. Das ist unser Problem, weißt du?«
    Der Hund klopfte matt mit dem Schwanz auf den Boden. Vielleicht ein Code. Wenn, dann hatte ihn Matthial während der acht Jahre, die Rick nun an seiner Seite war, nie zu entschlüsseln gelernt.
    »Kannst du nicht verstehen, was? Du bist ein Hund, für dich ist alles gut so, wie es ist, wenn du ein bisschen was zu fressen bekommst, an Bäume pinkeln und deinen Arsch ablecken kannst und hin und wieder einer kommt, um dich hinter deinem linken Ohr zu kraulen. Bei uns Menschen ist das nicht so einfach.« Matthial sah aus dem Fenster. Die Blutkastanien draußen hatten noch keine Blätter, sodass er den Himmel sehen konnte, der grau und schlierig über der Welt hing. »Wir denken immer. Vor allem denken wir, dass da noch mehr sein muss. Irgendwo. Aber wer weiß, ob das stimmt. Wir denken eben auch viel Blödsinn.«

22
    im augenblick der angst ist kein platz mehr
für freundschaft oder feindschaft,
da will man bloß nicht länger allein sein.
    Neél suchte eine Stelle, an der der Fluss breiter wurde und von oben aussah wie eine glitzernde Schlange, der ein fettes Beutetier den Leib auswölbte. Hier floss das Wasser ruhiger. Dort, wo die Pferde mit den Vorderhufen hineintraten, um zu trinken, stand es fast still, während in der Flussmitte eine zügige Strömung zu erkennen war. Der Fluss riss Blätter und kleine Zweige mit sich.
    »Der Kanal ist hier nicht tief, das kann dir helfen, wenn du -«
    Ich unterbrach ihn. »Das ist nicht der Kanal.«
    Überrascht sah er mich an. Es gefiel mir, endlich einmal mehr zu wissen, als er mir zutraute. »Der Kanal fließt nicht nordwestlich der Stadt«, erklärte ich. »Das hier ist ein ganz anderer Fluss.«
    »Die Karten behaupten etwas anderes.«
    »Papier kann lügen. Es muss sogar lügen, wenn ein Lügner es bemalt hat. Ihr behauptet, der Kanal wäre der Zustrom für alle Flüsse in der Gegend und sie alle wären seine Seitenarme und würden aus ihm entspringen. Das stimmt aber nicht. Bei uns wissen das schon die Kinder.« Nicht alle Kinder natürlich und nur wenige Erwachsene, aber das brauchte er nicht zu wissen.
    Neél legte den Kopf ein Stückchen in den Nacken, als würde er sich an eine Wand lehnen. Eine selbstgefällige Pose, die mich herausforderte. Ich hob das Kinn.
    »Deine Karten erzählen Lügen.«
    »Warum sollten wir falsche Karten zeichnen?«, fragte er schlicht.
    Meine Stute biss nach seiner und lenkte mich von einer klugen Antwort ab. Ärgerlich zog ich am Zügel und nahm sie ganz kurz. Ich hatte dieses blöde Tier überhaupt nicht im Griff. Neél grinste, als hätte er die Auseinandersetzung gewonnen. Wenn ich das Pferd nicht selbst ausgesucht hätte, hätte ich angenommen, dass er mir mit voller Absicht dieses böse Biest zugeteilt

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