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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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hatte.
    »Wegen dem Gift!«, blaffte ich und ärgerte mich gleich noch mehr. »Weil ihr so den Menschen drohen könnt, den Kanal zu vergiften und damit alles Wasser. Aber wir kennen die Flüsse. Wir wissen, wohin euer Gift fließt und wohin nicht.«
    Die Schadenfreude in seinem Gesicht verblasste. »Davon wusste ich nichts.«
    »Wovon? Dass ihr Druck auf uns ausübt und uns bedroht?« Wieder musste ich am Zügel ziehen, um die bissige Stute zu halten. Diesmal ließ ich mich nicht ablenken. »Liege ich da so falsch, Neél? Ich erinnere mich da an einen Armbrustschützen, der auf deinen Befehl hin auf mich angelegt hat. Wie lange ist das her? Zwei Stunden? Und was ist das da zwischen den Mäulern unserer Pferde? Ein Strick? Bin ich etwa freiwillig hier, mit dir im Wa-?«
    »Hör auf!« Er sagte das ganz leise, aber es traf mich trotzdem hart. Ich schwieg. »Ich weiß das alles«, fuhr er fort, »und es gefällt mir nicht. Aber das mit dem vergifteten Wasser wusste ich nicht.«
    »Vergiss es einfach«, sagte ich. Er konnte nichts dafür, er glaubte den Lügen ja selbst.
    Neél sah eine Weile aufs Wasser. Dann zuckte er mit den Schultern. »Lass uns den Fluss abreiten. Du musst dir die Stellen einprägen, an denen du ihn überqueren kannst.«
    Er lenkte die Pferde flussaufwärts und die Geräusche des Wassers und des Windes waren für eine Weile unsere einzigen Begleiter. Ich lauschte ihnen. Sie waren wie tausend Stimmen. Manche schwatzten ohne Punkt und Komma. Blablabla. Andere flüsterten, hauchten, wisperten. Womöglich sagten sie etwas Wichtiges. Aber alle sprachen so durcheinander, dass ich nichts richtig verstand. Die einzelnen Stimmen gingen unter in der Masse. Ob ich das auch tun konnte, wenn ich erst frei war? Einfach wieder abtauchen in einer Masse Menschen?
    »Sind Menschen einander ähnlich?«, fragte ich, ohne Neél anzusehen. »In deinen Augen, meine ich? Kannst du ein Mädchen mit braunem Haar von einem anderen unterscheiden?«
    »Du stellst sehr eigenartige Fragen.« Er lachte ein bisschen. »Aber ja, ich könnte das, wenn es sich nicht um Geschwister mit identischem Erbmaterial handelt.«
    »Die nennt man eineiige Zwillinge.«
    »Zwillinge, ach so. Alles außer Zwillingen kann ich gut unterscheiden, ja.«
    »Woran?«, fragte ich und musterte ihn, wie er die Zügel führte. Er gab dem Pferd nicht viel Freiheit, ließ es seinen Weg nicht selbst suchen, sondern verlangte Gehorsam. Aber solange seine Fuchsstute brav war, bewegte er die Hände sehr sanft und lenkte sie nur durch das Anspannen und Lockern der Finger. Reiten konnte er definitiv besser als ich. Ich versuchte prompt, meine Zügel weniger plump zu halten, aber meine Stute schlug trotzdem mit dem Kopf.
    »Menschen sind ein bisschen wie Bäume«, sagte Neél. »Sie sind alle aus Holz, aber das Holz ist anders. Die Zweige wachsen anders, die Stämme sind unterschiedlich, die Borke auch. Und die Blätter und Blüten. Wusstest du, dass jedes Blatt an jedem Baum eine einzigartige Struktur hat?«
    Ja, das wusste ich. Als Kinder hatten Amber und ich uns ein Spiel ausgedacht, bei dem es darum ging, zwei Blätter zu finden, die völlig gleich waren. Wir hatten immer verloren.
    »Wenn wir wie Bäume sind, was seid ihr Percents dann?«, fragte ich und zog eine Augenbraue spöttisch in die Höhe.
    »Andere Bäume?«
    Ich lachte. »Nee. Ihr seid euch zu ähnlich, um Bäume zu sein.«
    »Wie meinst du das?« Plötzlich schien er skeptisch.
    »Na ja, Menschen sind tatsächlich alle sehr unterschiedlich. Ihr seht alle gleich aus. Vielleicht jünger oder älter, mit glattem oder vernarbtem Gesicht, in Standardkleidung oder im Wollpullover -aber eigentlich alle gleich. Ihr seid wie die eineiigen Zwillinge ... Wie hast du das eben genannt? Mit identischem Erbmaterial.«
    Er murmelte etwas, das ich nicht verstand. An mich gewandt, sagte er nachdrücklich: »Das sehe ich nicht so.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist doch nun mal so.«
    Neél atmete durch und nahm die Zügel straffer. »Du solltest weniger unnützes Zeug reden und mehr auf die Umgebung achten.« Mit einem Mal wirkte er ruppig. »Meinst du, ich reite zum Spaß mit dir durch die Gegend? Wir zockeln hier seit zehn Minuten am Fluss entlang und du weißt noch immer nicht, wo du ihn überqueren kannst.«
    Ich hatte überhaupt keine Lust, mich wieder von ihm kritisieren zu lassen. Mein Trotz schnappte über mir zusammen und schloss mich in sich ein wie in einer schützenden Austernschale. Neél konnte

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