Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
sich nicht verschieben ließen. Und so überließ Lord Jamiro das Schicksal des kleinen Miro seinem Anwalt.
Auf der linken Seite war der Tisch, an dem Lordess Liliam hätte sitzen müssen. Aber sie war noch nicht hier. Ihr Anwalt saß steif da und gab sich Mühe, die Verspätung seiner Klientin gelassen zu nehmen.
«Sir Finkle», sagte schließlich der Richter und funkelte den Anwalt über seine Brillengläser hinweg an, «wenn Eure Klientin nicht in zwanzig Sekunden im Gerichtssaal erscheint, werde ich den Fall einstellen und ohne Lordess Liliam ein Urteil …»
Bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, flogen die zwei Türflügel des Gerichtssaales auf, und Lordess Liliam stöckelte mit zwei Bediensteten herein. Der eine trug eine rosa Handtasche, aus der der kahlrasierte und mit einer großen pinkfarbenen Schlaufe geschmückte Kopf ihres Minihundes Poopie hervorlugte, der andere verschwand unter einer unzählbaren Menge von Einkaufstüten. Die Lordess war aufgetakelt wie ein Pfau. Sie trug weite weiße Beinkleider, einen rosafarbenen Blazer, passend zu der Schlaufe zwischen Poopies behaarten Öhrchen, und hohe rosafarbene Stöckelschuhe. Sie war mit allerlei funkelndem Schmuck behängt, und ihr blondes Haar war aufwendig aufgetürmt.
«Entschuldigt die Verspätung, aber ich war sehr deprimiert», säuselte Miros Mutter, setzte sich rasch auf ihren Stuhl und überkreuzte die Beine. Sie sah zu Miro hinüber und warf ihm einen Handkuss zu. «Hallo, mein Schnuggel», flüsterte sie.
Der Richter ließ seinen Blick über die vielen Einkaufstüten gleiten und fragte skeptisch:
«Deprimiert?»
Sie klimperte mit ihren Augenlidern und setzte ein theatralisches Lächeln auf. «Einkaufen ist das beste Mittel gegen Depression. Sagt auch mein Arzt.»
Die Verhandlung begann. Die Anwälte benutzten allerlei komplizierte Ausdrücke, die Miro nicht verstand. Sie stolzierten vor dem langen Tisch des Richters auf und ab, schrien einander an, beschuldigten sich gegenseitig und zeigten mit den Fingern aufeinander. Lordess Liliam fing an zu zucken und zu weinen, und ihre Diener reichten ihr eifrig Taschentücher, um ihre Tränen abzuwischen, bevor sie die teure Schminke verschmierten.
Miro wäre am liebsten davongerannt. Und so begann er zu zählen und zu zählen und zu zählen.
«Und was möchtest du, Junge?», fragte der Richter nach einer Weile. Aber Miro hörte ihn nicht. Sein Butler hielt seine Hand fest und drückte sie sanft.
«Miro, Sir, der Richter hat Euch etwas gefragt», flüsterte er ihm zu.
«Huh? 2678 Quadrate», antwortete der Achtjährige, aus seiner Gedankenwelt gerissen.
Der Richter faltete die Hände und beugte sich vor. Er sah mit väterlicher Miene auf den kleinen, eingeschüchterten Jungen hinunter.
«Was möchtest du, Junge? Möchtest du bei deiner Mutter oder bei deinem Vater leben?»
Bevor Miro überhaupt etwas entgegnen konnte, kam ihm seine Mutter zuvor.
«Bei seinem Vater!», rief sie hektisch. «Ich möchte nicht, dass er bei mir lebt. Er erinnert mich zu stark an seinen Vater. Sie haben dieselbe Nase, dasselbe Lachen, denselben Blick …» Sie verdrehte die Augen und hielt sich den Handrücken an die Stirn. Die Bediensteten fächelten ihr Luft zu. «Das ist alles zu viel für mich. Es schlägt auf meine Gesundheit. Sagt auch mein Arzt.» Sie kramte in ihrer Handtasche, klaubte mit spitzen Fingern ein rosa Döschen hervor, öffnete es und kippte sich nervös ein paar Pillen in den Hals.
«Nein, ich möchte nichts, was mich an die Vergangenheit erinnert», fuhr sie fort. «Weder ihn, das Haus noch sonst irgendetwas. Ich brauche alles neu; nichts, was mit all den entsetzlichen Erinnerungen behaftet ist, die ich in einer aufwendigen Therapie hinter mir zu lassen versuche.» Sie kraulte mit ihren langen, frisch lackierten Fingernägeln den Hals ihres hässlichen Hündchens, und in ihr bemitleidenswertes gepudertes Gesicht mischte sich der fordernde Ausdruck einer Geschäftsfrau.
«Mein bald Ex-Mann muss mir ein neues Haus bauen, mir neue Kleider und eine komplett neue Einrichtung kaufen. Ich will alles neu, damit ich noch einmal ganz von vorne beginnen kann. Mein Arzt sagt, es wäre das Beste, damit ich keinen Rückfall erleide.» Sie zupfte nervös an ihrer Frisur, und Poopie kläffte, als würde er seinem Frauchen in jedem Punkt Recht geben.
Die Gerichtsverhandlung ging weiter. Mehr und mehr Worte wurden ausgetauscht über Besitz, Geld, Schmuck. Miro verstand nicht, warum er überhaupt
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