Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
flammende Schwert aus den Augen zu lassen, hob er langsam den Finger an seinen Mund und leckte sich genüsslich das Blut ab. Er lachte. Es war ein triumphierendes, düsteres Lachen, das aus seiner Kehle stieg. Und dann, von einer wilden Entschlossenheit gepackt, stürzte er sich jäh auf das flammende Schwert und riss es mit beiden Händen hoch. Gleichzeitig war es, als würde ein Feuer in ihm explodieren. Seine Hände brannten. Der Griff schien zu glühen wie brennende Kohlen. Alles in ihm schrie danach, das Schwert loszulassen. Doch er ließ es nicht zu. Seine Brust bebte. Seine Hände vibrierten. Verbissen umklammerte er das Schwert, während weiße Lichter über die tödliche Klinge tanzten.
«Ich kann vielleicht dich nicht vernichten!», brüllte er, von einem neuen, leidenschaftlichen Kampfgeist beflügelt. «Aber du kannst ihn vernichten!»
Mit wildem Gebrüll richtete er sich auf und schleuderte das flammende Schwert quer durch den Raum. Es spaltete einen an der Wand hängenden Morgenstern wie einen Apfel mitten entzwei und blieb zitternd in der gegenüberliegenden Wand stecken.
15
Ein geheimnisvoller Glanz lag in Aliyahs Augen, während sie den Jugendlichen die Worte vorlas, die vor ihr aufleuchteten. «Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die Finsternis als Licht bezeichnen und Licht als Finsternis. Die Dunkelheit lastet auf der Insel und verbreitet Angst und Schrecken. Die Soldaten eilen herbei, in kürzester Zeit sind sie da. Niemand gönnt sich eine Pause. Der Gürtel mit dem Schwert sitzt fest. Die Hufe ihrer Pferde sind hart wie Stein. Doch aus Verzweiflung wird Hoffnung, aus Schwachheit entspringt Stärke, und Tränen des Kummers werden zur Quelle des Lichts. Die Stunde der Auserwählten ist gekommen. Er hat sie berufen, die Finsternis zu besiegen, und als Zeichen seines Sieges rüstet er sie aus mit den Tränen des Lichts. So hat er es versprochen, und sein Wort ist unumstößlich.»
Die Jungs hörten Aliyah gespannt zu, und als sie fertig war mit Lesen, wusste keiner so richtig, was er sagen sollte. Selbst wenn sie den Gedanken nicht zulassen wollten, es kam ihnen allen so vor, als wären diese Worte auf geheimnisvolle Weise mit ihnen verknüpft. Und ihre Herzen begannen schneller zu schlagen.
«Voll der Knaller, ey. Und das steht wirklich so geschrieben?», fragte Joash. «Ich meine, du hast das nicht spontan erfunden, um uns zu imponieren oder so was?»
«Warum sollte ich?», antwortete Aliyah. «Ich bin schließlich nicht Miro.»
«He! Was willst du damit sagen?», empörte sich Miro mit finsterer Miene.
«Nichts», winkte Aliyah ab. «Ist mir bloß so rausgerutscht.»
Miro knurrte beleidigt.
«Die Stunde der Auserwählten», wiederholte Ephrion leise. «Glaubt ihr, hier ist von uns die Rede?»
«Quatsch», sagte Miro. «Überlegt doch mal: Dieses Buch ist tausend Jahre alt. Niemand kann so weit in die Zukunft blicken.»
«Ey, und warum wird es dann das Buch der Prophetie genannt, Alter?», warf Joash ein.
Miro zog besserwisserisch die Augenbrauen hoch. «Ihr wisst, wie ich darüber denke.»
«Aber du musst doch zugeben: Der Text hat verblüffende Ähnlichkeit mit unserer Situation», meinte Ephrion. «Findest du nicht?»
«Vergiss es», brummte Miro, da er keine Lust hatte, noch länger darüber zu diskutieren.
«Die Tränen des Lichts», murmelte Aliyah gedankenversunken, während sie das Buch zuklappte. «Ich möchte zu gern wissen, was damit gemeint ist.»
«Wenn die Prophezeiung sich tatsächlich durch uns erfüllen sollte, werden wir es früher oder später erfahren», sagte Miro, und um das Thema endgültig abzuschließen, fügte er hinzu: «Ich glaube, wir sollten jetzt aufbrechen. Ephrion, geht’s wieder mit deinem Bein?»
Ephrion nickte. «Ich denke schon.»
Aliyah gab ihm das Buch der Prophetie, und Ephrion packte es in seine Tasche. Gerade als sie im Begriff waren weiterzugehen, blieb Aliyah auf einmal wie angewurzelt stehen. Sie wirkte angespannt und nervös wie ein aufgescheuchtes Reh, wenn der Jäger kommt.
«Aliyah?», fragte Miro und betrachtete sie kritisch von der Seite.
Aliyah antwortete nicht. Sie tastete nach ihrem Wolf, der die Ohren steil aufgerichtet hatte und mit wachsamen Augen in den Nebel hineinstarrte. Er stand mit steifen Beinen da, den Schwanz gehoben.
«Nayati spürt es auch.»
«Spürt was?» Joash folgte dem Blick des Wolfes, konnte aber in der trüben Nebelsuppe nichts Auffälliges erkennen. «Was ist los?»
Anstatt seine
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