Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
zu ertragen. Aber er wollte keine Schwäche zeigen und marschierte einfach tapfer voran, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu beklagen.
Gegen Mittag erreichten sie den Fuß eines langen Hügelzugs, und wieder einmal teilte sich der Weg. Diesmal gab es sogar drei verschiedene Pfade. Einer ging nach rechts, einer nach links und ein dritter steil den Hügel hoch.
«Na toll», seufzte Ephrion, «und wo geht’s jetzt nach Pinzkrit?»
«Fragt doch den Wolf», spöttelte Miro, worauf sich Nayati demonstrativ hinlegte und gähnte.
«Versuch’s mal damit», schlug Joash vor, kratzte eine Moosflechte von einem Felsbrocken und streckte sie Miro unter die Nase. Miro schob seine Hand mit einem überheblichen Lachen zur Seite.
«Damit kann ich höchstens den Feuchtigkeitswert des Nebels bestimmen, was uns nicht sonderlich weiterhilft.»
«Du weißt also auch nicht, welchen Weg wir nehmen müssen?», fragte Ephrion enttäuscht.
Miro stocherte mit seinem Finger in der Luft herum. «Das hab ich nicht gesagt.» Er ging ein paar Schritte zurück, betrachtete den Hügel und dachte eine Weile angestrengt nach. «Es ist der Höcker», sagte er schließlich.
«Der Höcker?», wiederholte Joash.
«So nennt sich der Hügelzug.»
«Du warst schon einmal hier?», fragte Aliyah überrascht.
«Nein. Aber ich habe den Höcker auf einer Karte gesehen. Zweidimensional natürlich. Aber wenn ich die Höhenkurven in ein dreidimensionales Bild umwandle, stimmen sie eindeutig mit der Form dieses Hügels überein, jedenfalls mit dem kleinen Ausschnitt, den wir hier vor uns sehen.»
«Aha», staunte Joash und starrte Miro mit großen Augen an.
«Er hat ein fotografisches Gedächtnis», raunte ihm Ephrion ins Ohr. «Irre, was er sich alles merken kann, nicht wahr?»
Miro fuhr indessen mit seiner Erklärung fort. «Der Höcker ist nicht besonders hoch. Er liegt eher wie eine Art Zunge in der Landschaft und ist am andern Ende etwas nach Süden geneigt.» Er illustrierte den Hügelzug mit seinen Händen. «Hier ist Pinzkrit. Rein theoretisch führen alle Wege dorthin, und man könnte meinen, der kürzeste Weg wäre der nach rechts. Ist aber nicht so, denn der Höcker hat hier drüben eine Beule. Und die zu umrunden würde uns» – er hielt kurz inne, um die Strecke zu berechnen – «eine weitere Stunde kosten.»
«Dann gehen wir nach links?», fragte Aliyah.
«Nein. Wir nehmen den mittleren Weg.»
«Ach nein», stöhnte Ephrion, «ich habe keine Lust auf eine Bergtour.»
«Es ist der schnellste Weg, sogar unter Berücksichtigung der Steigung. Und oben ist der Höcker ziemlich flach.»
«Hast mich überzeugt, Hirn», sagte Joash beeindruckt. «Bist tatsächlich ein kleines Genie, ey.»
«Ich weiß», sagte Miro selbstgefällig.
Sie erreichten Pinzkrit am späten Nachmittag. Kurz vor der Stadt kamen sie an mehreren stehenden Planwagen vorbei. Es sah aus wie eine Handelskarawane. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund schienen sie nicht voranzukommen. Ein paar missmutige Händler standen neben ihren Pferden und spähten immer wieder ungeduldig nach vorn.
«Warum stehen die alle?», erkundigte sich Ephrion bei einem der Männer. Er trug eine purpurrote Tunika und einen Federhut.
«Straßenkontrolle», antwortete der Mann mit verschränkten Armen. «Die Sicherheitsgarde kontrolliert jeden, der in die Stadt ein- und ausgeht. Hat es noch nie gegeben in Pinzkrit. Ich fahre diese Strecke seit Jahren. Vor vier Tagen war hier das reinste Chaos, weil alle Stadtbewohner von der großen Hexenverbrennung aus Dark City zurückkehrten. Und jetzt steh ich hier schon wieder in der Kolonne und kann meine Ware nicht rechtzeitig abliefern. Es ist zum Verrücktwerden. Keine Ahnung, wen die suchen.»
Miro, Ephrion und Joash tauschten ein paar bedeutsame Blicke aus, und auch Aliyah wurde es ganz mulmig zumute. Sie wussten sehr wohl, nach wem die Soldaten suchten.
«Wie ist das möglich?», raunte das Mädchen, als sie sich außer Hörweite des Händlers befanden. «Woher wissen die, dass wir ausgerechnet nach Pinzkrit wollen?»
«Vielleicht kontrollieren sie jede Stadt in Dark City», meinte Ephrion.
«Drakar scheint langsam Panik zu schieben», fügte Joash hinzu.
«Und was tun wir jetzt?», fragte Miro.
«Wuff! Wuff!», machte Nayati auf sich aufmerksam und deutete mit dem Kopf auf eine Frau, die soeben hinter einem Fuhrwerk auftauchte. Sie wirkte alt und krank, obgleich sehr gepflegt. Ihr langes schwarzes Haar war zu vielen kleinen Zöpfchen
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