Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
Aliyah.
«Licht», stammelte eine alte Frau und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. «Ihr habt Licht geladen! Aber wir haben kein Geld. Wir können nicht dafür bezahlen.»
«Ihr braucht kein Geld. Es ist alles kostenlos!», verkündete Ephrion.
Die unglaubliche Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Als die Jugendlichen den Dorfplatz erreichten, hatte sich bereits eine Traube von Menschen um sie versammelt. Miro und Ephrion schlugen die Plane zurück und begannen damit, die Lebensmittel und Kerzen an die Bevölkerung zu verteilen. Mehr und mehr Menschen strömten herbei. Das Dorf erwachte zu neuem Leben. Der Planwagen zog die Leute an wie eine Wasserquelle einen in der Wüste Verdurstenden. Ephrion zündete eine Kerze an, reichte sie einem Jungen, der zündete mit seiner Kerze eine zweite an, aus zwei kleinen Flämmchen wurden vier, aus vier wurden acht, und bald darauf flammte ein Lichtermeer von Kerzen in der Finsternis auf. Frauen begannen zu tanzen vor Freude. Alte Männer wischten sich die Tränen von den Wangen. Das warme Licht spiegelte sich in den Gesichtern der Menschen und brachte ihre Augen zum Leuchten. Ein junger Mann holte eine Flöte aus seiner Tasche und begann spontan darauf zu spielen.
Miro, Ephrion und Joash waren überwältigt von dem, was sie sahen. Und Aliyah von dem, was sie hörte. Es war ein berauschender Moment für jeden von ihnen – ganz besonders für Miro. Ein neues Gefühl überkam ihn; ein Gefühl, das er bisher nicht gekannt hatte und gar nicht richtig einordnen konnte. Er war einer der reichsten Jünglinge des ganzen Landes, doch bei keiner seiner pompösen Partys mit seinen superreichen Gästen hatte er jemals so viel Freude und Glück empfunden wie in genau diesem Augenblick. Es kam ihm so vor, als hätte er nicht Geschenke verteilt, sondern wäre selbst beschenkt worden, und zwar überreich.
Das Gesetz sagte, keiner dürfe mehr als sechs Kerzen besitzen. Doch in dieser Nacht dachten die Menschen aus Bellkje nicht ans Gesetz. In dieser Nacht hatten sie erfahren, was es bedeutet, frei zu sein.
Irgendwann, als der Planwagen leergeräumt war und die Menschen lachend und singend auseinandergingen, kletterten die vier Gefährten auf den hinteren Rand des Fuhrwerks und blieben dort einfach eine Weile schweigend sitzen. Da saßen sie, mitten in der Dunkelheit, doch ihre Herzen brannten wie pures Feuer. Keiner sprach es aus, aber jeder empfand dasselbe: Die gemeinsame Aktion hatte sie einander nähergebracht. Noch vor wenigen Tagen hatten sie sich weder gekannt, noch wäre es denkbar gewesen, dass sich ihre Welten jemals berühren würden. Aber jetzt hatten sich ihre Welten nicht nur berührt, sie waren auf geheimnisvolle Weise ineinander verschmolzen.
Sie waren Freunde geworden.
Nicht weit von alledem entfernt saß jedoch ein kleiner buckliger Mann in seiner Kammer und trommelte wie wild mit den Fingern auf dem Tisch herum. Dann griff er zu seinem Kommunikator und wählte eine Nummer. Als sich am andern Ende jemand meldete, verkleinerten sich seine giftgrünen Augen zu engen Schlitzen.
«Ich habe Informationen, die Drakar interessieren dürften», flüsterte er mit kratziger Stimme in den Hörer hinein.
Wenige Minuten später erhielt der höchste Kommandant der Sicherheitsgarde von Goran neue Anweisungen.
«Zieht ein paar Männer von Mörthal ab. Die besten, die Ihr auftreiben könnt. Sie sollen uns in Pinzkrit treffen.»
21
Der Morgen kam viel zu früh. Die Jugendlichen waren so müde gewesen, dass sie einfach die Plane des Fuhrwerks über sich gezogen hatten und vor Erschöpfung an Ort und Stelle eingeschlafen waren. Nayati hatte fast die ganze Nacht Wache gehalten und weckte die vier in der Morgendämmerung. Sie stärkten sich mit etwas Brot, Schinken und Blaufruchtsaft, und bevor die ersten Fensterläden aufgingen und sie jemand sehen konnte, schulterten sie ihre Rucksäcke und verließen das Dorf. Bald schon erreichten sie die Kreuzung, an der sie am Abend zuvor nach Bellkje abgebogen waren, und schlugen nun den Weg Richtung Pinzkrit ein. Zweiundzwanzig Meilen lagen vor ihnen, eine lange Wanderung, und sie durften keine Zeit verlieren.
Miro jammerte natürlich den ganzen Tag über seine wunden Zehen, dabei waren seine aufgescheuerten Blasen nichts im Vergleich zu Ephrions Beinen und Joashs gequetschten und gebrochenen Rippen. Joash war sich jetzt hundertprozentig sicher, dass mindestens zwei Rippen gebrochen sein mussten, denn die Schmerzen waren kaum
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