Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
Filzlockenmähne. Er war älter als die andern, vielleicht neunzehn oder zwanzig, und wie erneut bestätigt wurde, verfügte er über immense Kraft. Es würde nicht leicht sein, ihn zu schnappen.
«Iss wenigstens die Fleischklöße», forderte der erste schwarze Ritter seine Tochter auf, «damit du morgen nicht vom Pferd fällst. Zwing mich nicht, dich zu füttern wie ein kleines Kind, Katara.»
Murrend packte das Mädchen die Gabel und stopfte sich einen Fleischkloß in den Mund. Ihrem Vater zu widersprechen lohnte sich nicht, auch wenn es sich nur um Fleischklöße handelte. Goran war groß, breitschultrig und hatte harte Gesichtszüge. Er war ein stolzer Mann, ehrgeizig und unbestechlich. Schon von klein auf hatte er diese Prinzipien seiner Tochter beigebracht und sie mit viel Strenge und Disziplin erzogen. Sie sollte stark und selbstbewusst werden und nicht irgendein verzogenes Balg, das keinen Anstand kannte. Manchmal war er vielleicht etwas zu streng mit ihr, doch Katara wusste, dass ihr Vater sie über alles liebte. Und sie liebte ihn ebenso und bewunderte seinen Mut und seinen selbstlosen Einsatz im Dienste seiner Majestät. Wenn es darauf ankäme, so würde er sogar sein Leben lassen für Dark City. Katara war stolz darauf, ihn zum Vater zu haben, und sie genoss es, mit ihm zusammen zu sein.
Goran sah ihr zufrieden dabei zu, wie sie brav einen Fleischkloß nach dem andern hinunterwürgte und sogar die Hälfte des Nudelsalats verzehrte. «Na also, geht doch», meinte er. «Und wenn du die andere Hälfte auch noch isst, spendier ich dir einen Drink an der Bar.»
«Das ist Bestechung, Vater.»
«Nein, das ist ein Versuch, etwas mehr Zeit mit dir zu verbringen. Wer weiß, wann wir das nächste Mal dazu kommen in all dem Trubel. Ich will wissen, wie es dir geht, meine kleine Feuerblume.»
Katara lächelte. Eigentlich war sie schon viel zu groß für diesen Kosenamen, aber jedes Mal, wenn ihr Vater sie so nannte, fühlte sie ein leichtes Kribbeln im Bauch. Sie erinnerte sich noch genau, wie es zu dem Namen gekommen war. Damals war sie gerade zehn Jahre alt gewesen und hatte zum ersten Mal im Burghof auf einem wirklich störrischen Pferd gesessen. Es hatte sich aufgebäumt, um Katara abzuwerfen, aber sie hatte einfach die Zügel festgehalten und war oben geblieben. Anmutig wie eine zarte Blume habe sie ausgesehen, hatte ihr Vater ihr später gesagt, und gleichzeitig sei sie erfüllt gewesen von einem feurigen Willen.
Ja, einen feurigen Willen hatte Katara schon als Kind gehabt. Während andere adlige Mädchen sticken, kochen und tanzen lernten, lernte Katara, wie man mit einem Schwert umging. Ihr Vater lehrte sie von klein auf, was Worte wie Gerechtigkeit, Tapferkeit und Ehre bedeuteten. Er ließ sie vom besten Kampflehrer ausbilden, und vor zwei Jahren hatte sie ihre letzte große Prüfung bestanden und war zu einer jungen Ritterin aufgestiegen. Schon immer war es ihr größter Wunsch gewesen, eines Tages in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und als erster weiblicher Ritter für den König und für Dark City zu kämpfen. Sie wusste, dass ihr Leben ganz sicher mehr war, als vor dem Spiegel zu sitzen und ihr Haar zu kämmen. Sie war geboren, um zu kämpfen.
Vater und Tochter gingen zur Bar hinüber und ließen sich einen grünen Cocktail servieren. Während sie an dem süßlichen Getränk nippten, kamen sie bald auf das zu sprechen, was sie beide seit dem Tag beschäftigte, als Katara mit den Jugendlichen auf der Burg erschienen war und Drakar das flammende Schwert ausgehändigt hatte. Obwohl sie auf der Suche nach dieser Hexe und diesen drei jungen Hexern seit Tagen täglich nebeneinander ritten, hatten sie noch keine Zeit gefunden, über all das zu reden, was geschehen war.
«Warum hast du es getan?», stellte Goran endlich die unausweichliche Frage. Sie brannte ihm schon seit Tagen auf der Zunge. «Warum hast du dich den Hexen angeschlossen?»
Katara atmete tief durch. Sie hatte gewusst, dass ihr Vater dies eines Tages fragen würde. Sie hatte sich die Frage selbst tausendmal gestellt und fand keine Antwort, die man mit dem Verstand begreifen konnte.
«Vater, ich …» Sie stockte. Es fielen ihr einfach nicht die passenden Worte ein, um das auszudrücken, was sie wirklich empfand. Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf, die blonden Jünglinge, die sich wie ein Ei dem andern glichen, die alte Hexe, die sich selbst Prophetin nannte, Isabellas Todesschrei … Sie konnte den Schrei noch heute
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