Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
das, keine Hoffnung zu haben. Joashs Mutter Violet fand hin und wieder Arbeit als Putzfrau in den Häusern reicher Leute, aber nie wurde ihr eine feste Anstellung angeboten. Sein Vater Rosco war ein sehr intelligenter junger Mann und hatte als Teenager sogar eine Privatschule besucht. Als Violet von ihm schwanger und deswegen von ihrer Mutter rausgeworfen wurde, versuchte Rosco bei seinen Eltern ein gutes Wort für sie einzulegen. Aber da ihnen das Mädchen aus einfachem Hause von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen war, weil es dem Image der Familie schadete, war Rosco gezwungen, sich zwischen seinen Eltern und Violet zu entscheiden. Er wählte Violet.
Violet wusste noch in derselben Nacht, als sie mit Rosco zusammen gewesen war, dass sie schwanger war.
«Es ist ein Junge», sagte sie am nächsten Morgen zu sich selbst und strich sich über den flachen Bauch, als wäre er bereits dick und rund. Ihr Vater hatte die Familie verlassen, als sie sechs Jahre alt war. Jetzt gab es nur noch sie und ihre Mutter. Violet fühlte sich so alleine. Ihre Mutter schuftete sich zu Tode und hatte nie Zeit für sie. Sie war nur selten zu Hause, denn die wenige freie Zeit, die sie hatte, verbrachte sie im Tempel Drakars, wo sie meditierte und Speiseopfer darbrachte. Sie war eine sehr religiöse Frau, und gerade deswegen wusste Violet, dass sie die Schwangerschaft vor ihrer Mutter geheim halten musste.
Als die erst Vierzehnjährige zwangsläufig mit jedem Monat dicker wurde, begann sie, immer größere und weitere Kleider zu tragen, um ihren Bauch darunter zu verstecken. Niemand durfte merken, dass sie schwanger war, am allerwenigsten ihre Mutter. Der Trick funktionierte, und ihre Mutter merkte tatsächlich nichts. Nur jedes Mal, wenn sie ihrer Tochter wieder größere Kleider kaufen musste, mahnte sie Violet mit strenger Miene:
«Fresssucht ist etwas Düsteres. Du solltest mit mir in den Tempel kommen und meditieren.»
Und irgendwann war sie des Kleiderkaufens müde und sagte: «Dies sind die letzten Kleider, die ich dir kaufe, Violet. Wir haben dafür kein Geld. Wenn du noch dicker wirst, kannst du dir deine Kleider selber nähen.»
Und das war es, was Violet tat: Sie begann, ihre Kleider aus anderen Sachen selbst zu nähen. Eineinhalb Monate nach diesem Gespräch verspürte Violet stechende Schmerzen in ihrem Bauch. Sie wurden stärker und kamen in immer kürzeren Abständen. Mitten in der Nacht platzte die Fruchtblase. Violets ganzes Bett war nass. Es war Zeit. Die Wehen setzten ein. Violet atmete heftig und schwitzte unkontrolliert, während sie verzweifelt versuchte, nicht zu schreien. Sie biss die Zähne zusammen und presste und presste. Die brennenden Schmerzen raubten ihr beinahe die Sinne. Und dann endlich war es so weit: Sie brachte einen Jungen zur Welt. Er war groß, beinahe zu groß für ihre dünnen vierzehnjährigen Arme, und er hatte bereits dichtes Haar.
Er ist wunderschön, dachte sie glücklich. Das Baby stieß seinen ersten Schrei aus, und weitere Schreie folgten. Plötzlich, Violet wusste nicht, ob nur zehn Minuten oder bereits mehrere Stunden vergangen waren, klopfte es an ihre Zimmertür. Es war Violets Mutter.
«Violet. Was geht da drinnen vor? Violet? Lass mich rein!»
Nicht wissend, was sie tun sollte, öffnete Violet ihren Schrank und legte das Baby in einen Korb. Dann deckte sie das Kind hastig mit allerlei Kleidern zu, die sein Schreien dämpfen sollten, und versteckte so das lebende Bündel. Ihre Mutter rüttelte an der Türklinke, polterte mit der Faust gegen die verschlossene Tür.
«Lass mich rein! Ich sagte: Lass mich rein! Jetzt sofort!»
Violet ging zur Tür, entriegelte sie und gab ihrer Mutter den Weg in ihr Zimmer frei. Die Mutter trat mit zerzaustem Haar, Morgenmantel, Pantoffeln und einer Kerze in der Hand ein und sah ihre Tochter verstört an.
«Violet, bist du in Ordnung?» Ihr Blick fiel auf das blutdurchtränkte Nachthemd. Sie schrak zusammen. «Bei Shaíria, was ist hier passiert?»
«Nichts, Mutter», log Violet und versuchte, ihre Mutter wieder irgendwie Richtung Tür zu drängen. «Bitte geh, Mutter. Ich bin nur ein wenig krank. Ist nichts Ernsthaftes. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.»
Aber ihre Mutter schnüffelte bereits voller Misstrauen im Zimmer herum. Dann entdeckte sie das Blut auf dem Bett.
«Und was ist mit deinem Bett?», fragte sie scharf. «Warum ist dein Bett voller Blut? Und was ist das für ein scheußlicher Geruch hier?» Sie riss jäh die Augen auf
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