Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
vom Kopf abstand. Eine blonde Strähne hing ihm in die Stirn. Seine Augen und sein Mund waren schwarz geschminkt, ein kleiner Metallring steckte in seiner Zunge. Er trug enge Hosen und ein Hemd mit nur einem Ärmel, dazu einen genieteten Gürtel, ein genietetes Halsband und schwarze, fingerlose und ebenfalls mit Nieten gespickte Handschuhe. Er war sehr muskulös und hatte kräftige Oberarme. Joash vermutete, dass dies Neon sein musste.
«Was willst du?», fragte der schwarz Geschminkte mit arroganter Miene.
«Euphória.»
«Wie viel?»
«Gebt mir ein Zehnerpack.»
«Das macht hundert Drakaten.»
«Hundert? In Dark City krieg ich es für die Hälfte.»
«Wir sind hier nicht in Dark City. Entweder du blätterst hundert dafür hin, oder wir haben kein Geschäft.»
«Ich geb Euch achtzig.»
Der Junge grinste abfällig. «Geh mir aus dem Gesicht.» Er ließ Joash stehen und stolzierte wie ein König zu seinen Kumpels zurück.
«Also gut», rief ihm Joash nach. «Ey, ich geb Euch hundert Drakaten. Deal.» Er griff in seine Tasche und begann eifrig, die Münzen abzuzählen. Neon drehte sich um, spuckte auf den Boden und näherte sich ihm mit souverän gemächlichen Schritten.
«Hier», sagte Joash und streckte ihm das Geld entgegen. «Hundert Drakaten.»
Neon spielte mit seinem Zungenring und kicherte verächtlich. Joash versuchte, ihn zu durchschauen, doch es gelang ihm nicht. «Was ist? Hier ist das Geld. Nehmt es.»
«Ich hab’s mir anders überlegt», erklärte ihm Neon und streckte überheblich sein Kinn vor. «Steck dir dein Geld sonstwohin und hau ab. Dein Gesicht gefällt mir nicht. Ich hab eine Allergie gegen Fremde.»
Joash verlor langsam die Geduld. «Nehmt das elende Geld, und gebt mir meine Pillen.» Seine Stimme klang verzweifelt. «Ich brauche sie, ey!»
Neon lachte erneut, und ohne irgendeinen Grund schlug er Joash plötzlich die Drakaten aus der Hand. Die Münzen klimperten auf den Boden und verteilten sich im ganzen Hinterhof. Die jungen Männer grölten.
«Hau ab, Junkie!», sagte Neon herablassend.
Im selben Moment ging es wie ein elektrischer Schlag durch Joashs Körper. Seine Muskeln strafften sich. Ein irrer Glanz funkelte in seinen Augen. «Niemand nennt mich einen Junkie!», knirschte er.
Dann ballte er seine Fäuste …
Die Nacht war schon fast vorüber, als Joash von seinem nächtlichen Ausflug zurückkam. Seine Hände waren voller Blut. Auch seine Kleider und sein Gesicht waren mit Blut bespritzt. Alles war rot. Joash wusch sich im Bad, dann schlich er sich in die versteckte Kammer und legte sich neben seinen Gefährten auf das improvisierte Lager. Die Schmerzen in seiner Brust waren verschwunden. Aber er fand dennoch keinen Schlaf.
28
«Guten Moooorgen!»
Sihanas helle Stimme weckte die Jugendlichen aus ihren Träumen. Das Mädchen knipste den Veolichtschalter an und wartete, bis die ersten verschlafenen Köpfe unter den Decken erschienen. Sie trug ähnlich grelle Kleider wie am Vortag, diesmal in den Farben pink und schwarz: ein enges schwarzes Oberteil, darüber eine zottelige, pinkfarbene Weste mit mehreren schwarzen Reißverschlüssen, einen kurzen schwarzen Rock und darunter enganliegende pinkfarbene Hosen. Ihre schwarzen Armreife klimperten bei jeder Bewegung. Und wieder waren sowohl ihre Lippen wie auch ihre langen Fingernägel ihrer Kleidung angepasst und jetzt statt grellgrün leuchtend pinkfarben. Sie hatte sich sogar eine pinke Haarsträhne in ihr blondes Haar hineingeflochten und den gelben Augenbrauenring gegen einen schwarzen Stecker getauscht.
«Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen. Das Frühstück steht bereits auf dem Tisch.»
Nayati hechelte freudig. Aliyah räkelte sich. «Ist es wirklich schon Morgen?»
«Frühstück klingt gut», schmatzte Ephrion im Halbschlaf.
«Ich hab überhaupt nicht geschlafen», hörte man Joashs Stimme. Er lag mit offenen Augen auf dem Rücken und starrte an die Decke.
«Ich hab grad so schön geträumt», brummte Miro und drehte sich auf die andere Seite. «Es ist viel zu früh, um aufzustehen.»
«Es ist überhaupt nicht früh», lachte Sihana gut gelaunt und zupfte unbarmherzig an seiner Decke. «Um diese Uhrzeit hab ich normalerweise schon zwei Schulstunden hinter mir. Los! Aus den Federn, ihr Schlafmützen!»
«Nur noch ein paar Minuten», flehte Miro und blinzelte verschlafen in das grelle Veolicht. «Bitte. Ich muss wissen, wie der Traum ausgeht.»
Sihana schob sich ihr blondes Haar hinter die Ohren und lachte.
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