Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
Miro dann ein paar zusammengeknüllte Stofffetzen.
«Die stopfst du dir oben rein, du weißt schon, wo.»
Seufzend rückte sich Miro die improvisierten Stoffbrüste zurecht. Er hätte es zwar nicht zugegeben, aber langsam begann ihm die Sache doch irgendwie Spaß zu machen. Das lag allerdings weniger am Verkleiden, sondern an Sihana. Sie hatte so was Erfrischendes, Verspieltes an sich. Miro musste sich Mühe geben, sie nicht fortwährend anzustarren.
Sihana zupfte sein Kleid zurecht und meinte dann zufrieden: «So, und jetzt wird geschminkt.»
«Geschminkt?!»
«Jawohl, die Dame», bestätigte Sihana und drückte Miro auf einen Stuhl nieder. «Wimpern, Lidschatten, Wangenrouge, Lippenstift, das volle Programm.»
«Oh nein!», stöhnte der Junge und zog eine Grimasse, als würde ihm eine Wurzelbehandlung bevorstehen.
«Oh ja!», verkündete Sihana entschlossen und breitete ihre Tupfer und Stäbchen und Töpfchen und Pinselchen auf dem Salontisch aus wie ein Chirurg sein Operationsbesteck.
«Augen zu! Nicht bewegen!» Sie bewaffnete sich mit Pinsel und Farbe und begann ihre künstlerische Attacke auf sein Gesicht.
Ihre Finger berührten seine Wangen, und er spürte ihren warmen Atem. Als sie ihm erlaubte, die Augen wieder zu öffnen, war ihr Kopf dem seinen so nahe, dass er jede Feinheit ihres hübschen Gesichts sehen konnte, ihre langen Wimpern, ihre wunderschönen mandelbraunen Augen, ihre glänzenden pinkfarbenen Lippen, ihre zarte bräunliche Haut. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, und es fiel ihm schwer, sie nicht anzulächeln. Immer wenn sich ihre Blicke trafen, senkte Sihana rasch den Kopf und schob sich etwas verlegen ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.
In der Zwischenzeit hatte Ephrion bereits das zweite Kleid zerrissen und durchwühlte die große Kiste nach einem weiteren Modell, und Joash ließ sich von Mona wie eine Puppe einkleiden und schminken und wunderte sich über die intensiven Farben und Düfte um ihn herum.
Sihana war mit Schminken fertig, und Miro tänzelte zu einem großen Wandspiegel. Als er sich im Spiegel sah, pfiff er bewundernd durch die Zähne.
«Wow, bin ich scharf!» Er schwenkte die Hüften und schickte sich selbst einen Handkuss zu. «Na, du wildes Ding? Knackiger Po. Heiße Kurven. Darf ich dich heute Abend ausführen?» Er drehte sich seinen Freunden zu und wartete mit klimpernden Lidern auf ihre Kommentare. Doch Ephrions Kopf steckte gerade in der Truhe, und Joash sagte bloß:
«Ey, dein Haar, Mann. Es ist einfach zu rot, Mann.»
Miro verdrehte die Augen und schob sich seine Brüste etwas höher. «Du verstehst wirklich nichts von Frauen», fistelte er in einer Oktave höher als sonst.
«Er hat Recht», sagte Sihana.
«Natürlich hab ich Recht, ich hab immer Recht.»
«Nein, nicht du. Joash.» Miro schaute Sihana ziemlich verständnislos an. Sie lächelte keck. «Warte hier.» Sie verschwand im Schlafzimmer ihrer Mutter und kam kurz darauf mit einer großen Schachtel voller Perücken zurück.
«Versuchen wir es damit», sagte sie und streckte ihm eine blonde lange Haartracht hin. Miro setzte sie auf. Das blonde Haar fiel ihm in Wellen bis auf die Schultern und veränderte sein Aussehen so stark, dass er nicht einmal mehr wie seine Schwester, sondern wie eine völlig fremde junge Frau aussah.
«Bei Shaíria», murmelte Miro und betrachtete sich von allen Seiten. «Wenn ich nicht wüsste, dass ich das bin, würde ich mich glatt in mich verlieben.»
Auch Joashs Verwandlung war ziemlich gut gelungen, obwohl es ihm etwas an Eleganz fehlte. Nur für Ephrion fand sich beim besten Willen kein passendes Kleid, und so wurde entschieden, dass er er selbst bleiben durfte. Mona bestand allerdings darauf, dass er eine Perücke trug, und auch für Aliyah suchte sie eine heraus.
«Der geringste Verdacht, und sie haben euch», sagte sie, und mit einem Mal wurde allen wieder bewusst, dass ihre Verkleidung tatsächlich keine Spielerei, sondern eine Frage auf Leben und Tod war. Die anfängliche Heiterkeit war wie weggeblasen.
«Warum habt Ihr eigentlich so viele Perücken?», erkundigte sich Aliyah, während sie ihr glattes, rostrotes Haar unter einem dunkelblonden krausen Schopf versteckte.
«Nun ja», seufzte Mona leise und griff sich an ihre aufgetürmte Frisur. «Deswegen.»
Mit einer raschen Handbewegung nahm sie sich die Perücke, die die Jugendlichen für ihr echtes Haar gehalten hatten, vom Kopf, und darunter wurde ihr eigenes Haar sichtbar. Es war lang, grau und
Weitere Kostenlose Bücher