Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
Hand entgegen. Sie war so dreckverschmiert, dass Ephrion den klebrigen Schmutz förmlich spüren konnte, als er seine Hand ergriff. Doch aus den großen dunkelblauen Augen des Jungen strahlte eine Lebensfreude, die unbeschreiblich war.
«Danke», sagte der kleine Knirps mit einem Stimmchen so zart wie ein Glöckchen. Er lächelte. Es war das schönste Lächeln, das Ephrion je gesehen hatte. Er strahlte zurück.
«Gern geschehen.» Und schon war der Kleine wieder fort, tanzte wie ein Wirbelwind über die Straße und quietschte vor Lebensfreude.
Ephrion spürte, dass ihm schwindlig wurde. Er fühlte sich auf einmal unendlich schwach und müde.
«Er kann tatsächlich gehen», flüsterte er, und dann, ehe er sich dagegen wehren konnte, kippte er zur Seite und verlor das Bewusstsein.
Als er wieder zu sich kam, kniete Aliyah neben ihm und hielt seine Hand.
«Du bist ein Held, Ephrion», sagte sie mit sanfter Stimme. Er rappelte sich auf und lehnte sich erschöpft gegen die Mauer.
«Ich habe ihn geheilt, nicht wahr?»
«Ja, das hast du. Das hast du, Ephrion.»
«Ich musste es einfach tun», murmelte Ephrion. «Du hättest seine Beine sehen sollen, ganz verkrüppelt. Er hat mir fürchterlich leidgetan.»
In der Zwischenzeit hatten sich von überall Schaulustige um den Ort des Geschehens gesammelt.
«Ist das nicht das verkrüppelte Kind, das hier immer mit seiner Mutter saß und bettelte?», fragte einer.
«Warum kann es jetzt laufen?», wunderte sich ein anderer.
«Ich hab es genau gesehen», verkündete eine Frau, während die Menschentraube immer größer wurde. «Der Junge da hat es getan. Er hat seine Beine berührt, und ganz plötzlich wurden sie gerade.»
«Wie ist so etwas möglich?»
«Es ist ein Wunder!»
«Wer ist der Junge?»
Von allen Seiten begannen die Leute, Ephrion zu bedrängen. Miro und Katara war es nicht mehr wohl angesichts des ganzen Menschenauflaufs.
«Na großartig», meinte Katara lakonisch, «Aufmerksamkeit ist genau das, was wir jetzt brauchen können!» Sie wandte sich Ephrion zu, der noch immer am Boden saß. «Wir müssen weiter, bevor die Leute dich hier auffressen», drängte sie ihn.
«Er ist ziemlich erschöpft», sagte Aliyah fürsorglich. «Gib ihm etwas Zeit.»
«Wir haben aber keine Zeit!», knurrte Katara und zog Ephrion unsanft vom Boden hoch. Im selben Moment jaulte der Junge auf. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn von den Hüften bis in die Zehenspitzen. Seine Beine fühlten sich schwer wie Blei an, und seine Füße schmerzten, als würde er auf Messern stehen.
«Alles in Ordnung mit dir?», fragte Katara.
«Ist bestimmt nur ein Wadenkrampf oder so was», versuchte Ephrion die plötzlichen Schmerzen herunterzuspielen. «Das wird schon wieder.»
«Wer seid Ihr?», fragte ihn ein älterer Mann. Ephrion sah einen eigenartigen Schimmer von Hoffnung in den wässrigen Augen des Alten. Bevor er jedoch dazu kam, ihm zu antworten, packte ihn Katara am Arm und zerrte ihn von den Leuten weg.
«Komm jetzt», sagte sie streng. «Wir müssen los. Es wird bald dunkel.»
«Wartet!», rief jemand und schnappte sich Ephrions Hemdsärmel. «So wartet doch!»
Katara wirbelte herum und warf der Frau, die sich an Ephrion festklammerte, einen bösen Blick zu.
«Lasst ihn in Ruhe!»
Erschrocken über so viel Unhöflichkeit, ließ die Frau von ihm ab. Aber schon hatte ihn jemand anders am Hemd zu fassen gekriegt, diesmal von hinten. Mehrere Hände berührten ihn. Der arme Junge wurde von einer Seite zur andern gerissen und verlor beinahe das Gleichgewicht. Miro und Katara warfen sich in dem Chaos besorgte Blicke zu. Die Situation begann langsam, aber sicher gefährlich zu werden. Sie mussten so schnell wie möglich von hier verschwinden. Kurz entschlossen griff Miro nach Aliyah, während Katara versuchte, Ephrion all die Leute vom Leib zu halten, die immer aufdringlicher wurden.
«Lasst uns durch, bei Shaíria!», rief sie wütend und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, als würde sie von einem wilden Wespenschwarm angegriffen.
Nayati hatte sich schon aus der Menge gelöst und wartete in einiger Entfernung ungeduldig auf seine Schützlinge. Mit einiger Mühe kämpften sie sich den Weg frei. Aber die ständig wachsende Menschentraube war nur schwer abzuschütteln.
«Lauft!», rief Katara schließlich. «Lauft!»
Und das taten sie. So schnell sie konnten liefen sie über die gepflasterte Straße, bis die Leute hinter ihnen im Nebel verschwanden. Erst ein paar Blocks
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