Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
spüren würde, wenn er sich dicht an sie kuschelte und ihr mit seiner rauen Zunge das Gesicht ableckte. Wie sehr wünschte sie sich, ihren treuen Wolf jetzt zur Seite zu haben, gerade jetzt, wo alles so finster und hoffnungslos war. Aber er war nicht hier. Und er würde nie erfahren, was aus ihr geworden war. Wir haben versagt, dachte Aliyah, wir haben kläglich versagt. Die Prophezeiung wird sich nicht mehr erfüllen. Drakar hat das flammende Schwert, und wir werden in einer Woche hingerichtet. Es war alles umsonst.
Ephrion grübelte betrübt vor sich hin, während sie die verschiedenen Eisentore des Kerkers passierten. Er dachte an seine Familie, seine Eltern, seinen kleinen Bruder Nicolo, der ihm so oft auf den Geist gegangen war mit seinen kindischen Nörgeleien. Er vermisste sie. Er vermisste seine Familie so sehr, dass er sich Mühe geben musste, nicht laut loszuheulen vor Kummer. Und in einer Woche werden sie meiner Hinrichtung beiwohnen, überlegte er, und ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Das kann ich ihnen nicht zumuten. Es wird ihnen das Herz brechen. Oh, warum musste das alles passieren? Warum habe ich mich darauf eingelassen?
Miro dachte an seinen Vater. Ob er versuchen wird, mich vor dem Tod zu retten?, überlegte er. Ob ich ihm wichtiger bin als die Schande, die ich über die Familie gebracht habe? Er weigerte sich zu glauben, dass sein Vater tatenlos zusehen könnte, wenn sein eigener Sohn öffentlich verbrannt würde. Und doch war er sich nicht sicher. Er wusste überhaupt nicht mehr, was er eigentlich denken sollte, von sich, von seinem Vater, von der Prophezeiung. Er wusste nur das eine: In einer Woche würde er sterben. Er würde hingerichtet für etwas, an das er nicht einmal richtig glaubte! Ich will nicht sterben! Er kann uns nicht öffentlich hinrichten lassen! Nicht mich! Nicht den Sohn von Lord Jamiro! Bei Shaíria, warum bin ich nicht eher ausgestiegen? Warum hab ich der Alten nicht einfach gesagt, dass ich nicht mitmachen will?
Sie erreichten ihre Zelle, ein miefendes Loch, das an der Vorderseite mit dicken Gitterstäben versehen war. Es roch nach Urin.
«Rein mit euch», sagte der eine der Soldaten und stieß die Teenager unsanft durch die offene Tür. Krachend und quietschend schlug die Zellentür hinter ihnen zu, und die Soldaten entfernten sich mit ihren Fackeln, ohne ein weiteres Wort mit den drei Jugendlichen zu wechseln.
Da saßen sie nun in der Dunkelheit, ohne das flammende Schwert, das durch Stein schneiden konnte, ohne das Buch der Prophetie und ohne den kleinsten Funken von Hoffnung. Sie fühlten sich jämmerlich und am Boden zerstört. Und in einer Woche würden sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. Die Vorstellung, vor einem grölenden, lichthungrigen Publikum wie Hexen verbrannt zu werden, war furchtbar und kaum zu ertragen.
Aliyah war es, die als Erste das erdrückende Schweigen brach. «Wenigstens ist das Buch der Prophetie in Sicherheit», sagte sie mit feinem Stimmchen. «Ich hoffe es zumindest.»
«Was habt ihr damit gemacht?», fragte Miro.
«Ich habe das Buch bei Nayati zurückgelassen», erklärte Ephrion. «Aliyah hatte den starken Eindruck, wir sollten es nicht mit in die Burg nehmen. Also habe ich die Tasche mit dem Buch beim Kloster gelassen.»
«Nun, das spielt jetzt auch keine Rolle mehr», meinte Miro bitter. «In einer Woche werden wir …»
«Sag es nicht», unterbrach ihn Aliyah. «Wir sollten nicht davon sprechen. Nicht jetzt. Noch nicht.»
«Ihr seid wohl auch auf Drakars Todesliste, ey?», sagte jemand aus der hintersten Ecke der Zelle.
Die Jugendlichen drehten sich erschrocken um. Es war die ganze Zeit so still gewesen. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sich noch jemand in der Zelle befinden würde. Außerdem war es derart stockdunkel in dem Kerker, dass man seine eigene Hand nicht vor den Augen erkennen konnte.
«Willkommen im Klub der Todgeweihten», sagte die Stimme mit einem Hauch von Ironie. Ihrem Klang nach zu urteilen, gehörte die Stimme zu einem energischen jungen Burschen, der sich keineswegs in sein Schicksal gefügt hatte. Sein deutlich spürbarer Lebenswille hatte beinahe etwas Ermutigendes an sich.
«Du wirst also auch hingerichtet?», fragte Miro in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
«Ich soll geköpft werden», antwortete der Fremde. «Sie sagen, ich hätte aus der königlichen Bäckerei Brot gestohlen.»
«Und? Hast du es getan?», fragte Ephrion.
«Mann, natürlich hab ich es getan! Man
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