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Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)

Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)

Titel: Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damaris Kofmehl , Demetri Betts
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für ihn selbst sein, diesen Gedanken ertragen zu müssen. Er hatte noch nie versagt, und sein Stolz ließ es nicht zu, Fehler einzugestehen, weder vor anderen noch vor sich selbst. Er war ein Besserwisser. Er musste auf alles eine Antwort haben, koste es, was es wolle. Überlegen zu sein, war einfach seine Identität. Wenn er auf diese dämliche Frage keine Antwort finden würde, könnte er sich das ein Leben lang nicht verzeihen.
    «Welche Antwort beantwortet die Frage, selbst wenn sie nichts beantwortet?»
    Die Sekunden schienen immer schneller vorbeizueilen.
    11 … 10 … 9 … 8 …
    Miro grübelte und grübelte, doch nichts fiel ihm ein. Er schlug seinen Kopf gegen die Wand. Es hörte sich hohl und leer an wie ein ausgehöhlter Stamm ohne Inhalt.
    3 … 2 … 1 …
    Die Tür sprang auf. Miro fiel auf die Knie, sein Rücken war gekrümmt, sein Kopf gesenkt, sein Gesicht auf dem Boden. Das gelbe Papier mit der Frage lag zerknüllt in seiner rechten Faust und verlangte nach einer Antwort. Der Onovan ging auf Miro zu und berührte ihn an der Schulter. Miro sah beschämt auf. Seine Wangen glühten wie ein feuriger Ofen, die Runzeln auf seiner Stirn waren so tief, als wäre er in den wenigen Minuten um dreißig Jahre gealtert. Er sah den Onovan an und schüttelte den Kopf.
    «Bitte, Sir», sagte er flehend, «tut es nicht.»
    Der Onovan griff nach seiner Hand, um das Papier entgegenzunehmen. Doch Miro hielt das zerknitterte Papier eisern umklammert und wollte es nicht loslassen.
    «Nein», sagte er, «bitte … nein!»
    Der Onovan ergriff aufs Neue Miros Hand und sagte streng: «Öffnet sie!»
    Widerwillig gab Miro das Papier frei. Der Onovan glättete es mit seinen starken Händen und nickte ihm zu. Miro wusste, was er damit meinte. Onovans konnten mit einem einzigen Nicken mehr aussagen als andere mit tausend Worten. Er wollte die Antwort hören. Miro war am Boden zerstört. Er wagte es nicht, dem Onovan in die Augen zu sehen. Seine Stimme war schwach und bebte leicht, als er die Frage noch einmal formulierte, um das Unabwendbare wenigstens um ein paar Sekunden hinauszuzögern.
    «Welche Antwort beantwortet die Frage, selbst wenn sie nichts beantwortet?»
    Der Onovan wartete. Miro zögerte, und dann sagte er diese einfachen vier Worte, die auszusprechen er sich noch nie zuvor gestattet hatte, obwohl sie in so vielen Situationen zugetroffen hätten.
    «Ich … ich … ich weiß es nicht.»
    Er ließ den Kopf hängen und merkte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Der Onovan packte ihn an den Schultern und hob ihn vom Boden hoch. Dann geleitete er ihn schweigend nach draußen. Miro hatte den Test bestanden, und er hatte es nicht einmal gemerkt.

    Aliyah saß auf ihrem Bett, drehte das Buch in ihrer Hand und betastete es von allen Seiten. Die beiden Buchdeckel waren mit glattem Leder bespannt, an der Seite befanden sich sieben lose Lederriemen, und Aliyah konnte mit ihren Fingern den Siegellack an der Vorderkante des oberen Deckels fühlen, der aufgebrochen worden war. Sie hob das Buch an ihre Nase und roch daran. Es war ein Geruch nach Leder und Harz, vermischt mit hundert eigenartigen Gerüchen, die sich über die Jahrhunderte hinweg zu einem einzigen vereint hatten. Dieses Buch war zweifelsohne schon durch viele Hände gewandert.
    Sechs Minuten, dachte Aliyah. Sie war nie jemand gewesen, der die Eile liebte. Aber dieses Mal blieb ihr keine andere Wahl, als sich zu beeilen. Es ging um ihren geliebten Wolf. Sie konnte sich ein Leben ohne Nayati nicht vorstellen. Rasch öffnete sie das Buch und blätterte ein paar steife, dicke Seiten um. Ein Duft nach altem Pergament stieg ihr in die Nase. Sachte legte sie die rechte Hand auf die aufgeschlagene Seite und spürte das uralte raue Papier unter ihren Fingern.
    Doch das war alles, was sie fühlen konnte. Keine Buchstaben, keine Worte und erst recht keine Sätze. Sie hob das Buch erneut hoch, um daran zu riechen. Dann ließ sie wieder ihre Finger über die Seiten gleiten in der Hoffnung, etwas zu finden, das ihr weiterhelfen würde. Nichts. Sie tastete Seite um Seite nach kleinen Erhebungen ab, nach einer verborgenen Schrift, die sie mit ihren Fingern spüren konnte. Nichts. Dieses Buch war nicht für Blinde geschrieben worden.
    Das ist nicht fair! Wie soll ich darin lesen?
    Sie blätterte Seite um Seite um, fuhr mit ihrer Hand darüber, spürte jede Unebenheit, doch keine Worte. Nichts. Sie spürte nichts. Sie blätterte schneller, ließ ihre Finger auch an den

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