Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
auskannte. Geschickt bog er mal links, mal rechts ab, und schließlich hatte Miro vor lauter Schleichwegen die Orientierung verloren. Dafür hatten sie die gierige Masse hinter sich gelassen, und das war ja die Hauptsache. Sie fuhren an einem Kanalisationsfluss vorbei. Das Wasser war grünschwarz und mit einem gelblichen Schaum überzogen.
«Igitt», machte Miro angeekelt, «könntet Ihr Euch vorstellen, hier in der Nähe wohnen zu müssen?» Er war froh, dass er nicht in diesem Teil der Stadt zu Hause war. Hier lebten die Menschen wie die Ratten, in rostigen Wellblechhütten, heruntergekommenen Gebäuden oder gestapelten Containern, die ihnen der Staat zur Verfügung stellte. Eben fuhren sie an einer solchen Containersiedlung vorbei, und Miro beobachtete ein paar streunende Hunde, die sich neben einem Müllberg um einen blanken Knochen stritten.
«Seht Euch das an, Bora. Sogar die Hunde streiten sich ums Essen», stellte Miro verwundert fest, weil er so etwas noch nie gesehen hatte. Er fischte ein paar Nüsse aus der Tüte und schleuderte den Rest in eine Ecke. «Ich hoffe, Ihr wisst, wie wir hier wieder rauskommen. Wir sind ohnehin schon spät dran. Und mein Vater hat es nicht gerne, wenn er auf mich warten muss.»
Es war vereinbart, dass Miro sich beim Nordeingang des Stadions mit seinem Vater treffen würde. Dieser hatte vorher noch einen Termin mit dem König und war deshalb früher gefahren. Er und König Drakar pflegten enge geschäftliche Beziehungen. Miros Vater war Inhaber der gesamten Industrie von Dark City. Und Drakar verkaufte ihm das nötige Veolicht für die Produktion.
Veolicht war die einzige Licht-, Wärme- und Energiequelle, die es in Dark City seit der großen Nebelkatastrophe gab. Natürlich gab es auch Kerzen, aber mit Kerzenlicht reifen bekanntlich keine Tomaten, Bohnen oder Kartoffeln. Als Ersatz für das natürliche Sonnenlicht, das mit dem Nebel verschluckt worden war, gab es nur eines, und das war Veolicht. Hätten sie nicht rechtzeitig auf diese neue Lichtversorgung umsteigen können, wären sie verloren gewesen. Denn ohne Licht wären nur allzu bald die Pflanzen verkümmert, ohne Pflanzen hätte es keine Nahrung mehr gegeben, und ohne Nahrung wären sowohl Menschen wie Tiere jämmerlich verhungert. Niemand hätte überlebt. Ohne Licht kein Leben. So einfach war die erschreckende Bilanz.
Aber dann hatte Drakar der Erste seine besten Wissenschaftler zusammengerufen, um in den Bergen ein verdecktes Experiment durchzuführen. Unter strengster Geheimhaltung entwickelten sie eine Formel, die die Stadt Dark City vor dem sicheren Untergang bewahrte. Sie erschufen eine künstliche Energiequelle, die sämtliche Eigenschaften des Sonnenlichts in sich vereinte und sowohl Wärme als auch Licht spenden konnte. Veolicht nannte Drakar die revolutionäre Erfindung, und Veolicht war es, das das Leben nach Dark City zurückbrachte. Niemand wusste, wie Drakar es herstellte. Drakar hütete die geheimnisvolle Licht-Formel wie seinen Augapfel. Es wurde gemunkelt, die Energie stamme von jenem brennenden Felsen, der damals ins Meer gestürzt war. Es hieß, Drakar der Erste wäre irgendwo in den Bergen auf einen Splitter jenes glühenden Steins gestoßen und hätte einen Weg gefunden, seine mysteriöse Energie zu speichern und in Wärme, Strom und Licht umzuwandeln. Und damit konnten nicht nur künstlich Pflanzen gezüchtet, sondern auch Maschinen hergestellt und betrieben werden.
Die Herstellung von Veolicht war allerdings sehr aufwendig und teuer, was wiederum die Kosten sämtlicher anderer Produkte in schwindelerregende Höhen trieb. Selbst wohlhabende Bürger konnten sich nur noch die einfachsten technischen Geräte leisten, während Luxusgüter einer Handvoll Leute vorbehalten blieben, nämlich einerseits den Stadtbaronen, die über die verschiedenen Stadtbezirke regierten, und andererseits Miros Vater, Lord Jamiro, der den gesamten Industriemarkt von Dark City kontrollierte. Alle andern Bürger fielen zwangsläufig zurück ins tiefste Mittelalter und mussten auf jegliche technische Annehmlichkeiten verzichten. Denn auch relativ simple Dinge wie Fahrräder verrosteten wegen des Nebels in Rekordzeit und konnten aus Mangel an Rohstoffen nicht repariert werden. Man konnte höchstens noch Laufräder aus ihnen machen.
Und nicht nur das. Noch schlimmer war, dass früher so einfache Lebensmittel wie Kaffee und Brot zu Luxusgütern wurden. Kaffee, Kakaobohnen, Südfrüchte – all das brauchte viel zu viel
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