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Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)

Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)

Titel: Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damaris Kofmehl , Demetri Betts
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tänzelten nervös hin und her.
    Miro beobachtete das Treiben auf der Straße und sah, wie der Menschenstrom auf einmal seine Marschrichtung änderte. Die sechsrädrige Kutsche war uninteressant geworden. Etwas anderes war im Gange. Die Menschen schrien und jubelten und pfiffen ganz närrisch, und wie auf Kommando stürzten sich alle in die entgegengesetzte Richtung.
    «Was geht da vor?», fragte Miro. «Warum sind die alle so aufgeregt?» In dem dichten Gewühl war es schwierig, etwas zu erkennen. Aber irgendwo im Zentrum der Masse musste etwas sein, das sämtliche Leute wie ein Magnet in seinen Bann zog. Miro beobachtete, wie sich ein kleiner Junge aus dem Menschenknäuel löste. Er mochte etwa zehn Jahre alt sein und war spindeldürr. Sein magerer Leib steckte in alten grauschwarzen Lumpen, er war barfuß und sah aus, als hätte er bestimmt mehrere Wochen nicht geduscht. So erbärmlich seine äußere Erscheinung war, der Kleine strahlte übers ganze Gesicht. Er hielt etwas in seinen schmutzigen Händen. Er hielt es fest wie einen Schatz und drückte es an seinen schmächtigen Körper, als wäre es das Kostbarste auf der Welt. Dann kam er näher, und Miro erkannte, was es war. Es war ein Laib Brot.
    «Brot? Und dafür machen die so einen Aufstand?» Miro schüttelte amüsiert den Kopf, warf eine Nuss in die Höhe und fing sie knackend zwischen den Zähnen auf. Er wusste natürlich, dass König Drakar wegen der heutigen Hexenverbrennung Zuckerbrot ans Volk verteilen ließ. Doch er hätte nie gedacht, dass diese kleine Geste bei der einfachen Bevölkerung eine Euphorie auslösen würde.
    Wie die Geier warfen sich die Menschen auf die Gratisbrote. Jetzt sah Miro die Verteiler mit ihren Brotsäcken, und sie taten ihm beinahe ein wenig leid. Sie hatten sich vor dem Ansturm auf den Rand eines Brunnens geflüchtet und begannen nun, die Brote einfach wie bei einer großen Raubtierfütterung in die Menge zu schleudern. Wer eins zu fassen kriegte, jubelte und tanzte, als hätte er das ganz große Los gezogen. Ein paar hagere Straßenkinder versuchten, den anderen die Brote wieder zu entreißen, doch wer eins hatte, verteidigte es wie ein Brückenballspieler seinen Spielball. Mit Ellbogen und Füßen bahnten sie sich ihren Weg durch die Menge, um das errungene Zuckerbrot so rasch wie möglich außer Reichweite gieriger Hände zu bringen.
    «Man könnte meinen, die hätten noch nie in ihrem Leben Zuckerbrot gegessen», lachte Miro verwundert. Er stopfte sich eine ganze Ladung Nüsse in den Mund. «Seht Euch an, wie sie herumtanzen, Bora! Seht Ihr das?»
    Bora gab keinen Kommentar dazu.
    Jetzt lief der kleine Junge, den Miro beobachtet hatte, ganz nahe an der Kutsche vorbei. Er lief geduckt und hatte den Brotlaib unter seinem löchrigen Hemd versteckt. Da warf sich plötzlich von hinten ein größerer Straßenjunge auf ihn. Wie eine Hyäne stürzte er sich auf den Kleinen und versuchte, ihm das Brot zu entreißen.
    «Seht Euch das an, Bora!», rief Miro. «Bei Shaíria. Jetzt streiten die sich doch tatsächlich um ein lächerliches Brot. So was hab ich noch nie gesehen. Seht nur!»
    Die beiden Knaben wälzten sich neben der Kutsche am Boden, als ginge es um ihr Leben. Der Kleine hatte sich die Knie aufgeschlagen und blutete. Der Große kriegte das Brot zu fassen, packte den Kleinen unbarmherzig an seinem verfilzten Haar und schleuderte ihn brutal gegen die Kutsche, ehe er sich mit seiner Beute aus dem Staub machte. Miro hätte sich beinahe an einer Nuss verschluckt. Das Gesicht des Knaben war gegen die Scheibe gedrückt. Es war ein sehr schmales Gesicht, und aus einer kleinen Wunde am Kopf rann etwas Blut. Miro starrte den Jungen verwirrt an. Nur wenige Sekunden klebte dieses schmale, dreckverschmierte Gesicht an der Scheibe, unmittelbar vor ihm. Keine Handbreit betrug der Abstand zwischen ihnen, und doch hätte die Distanz nicht größer sein können. Der Knabe sah Miro mit seinen großen schwarzen Augen direkt an. Er wirkte verzweifelt, verzweifelt und hilflos. Eine Träne kullerte ihm über die Wange, als er sich mit den Händen von der Kutsche wegstieß. Mit hängenden Schultern humpelte er davon. Miro sah ihm nach, bis er in der Menschenmenge verschwand.
    «Bora», murmelte er, «gibt es keinen anderen Weg zur Arena? Ich möchte hier so schnell wie möglich weg.»
    Der Kutscher nickte und trieb die Pferde an. Irgendwie gelang es ihm, die Kutsche in eine Nebengasse zu lenken, weg von allem Rummel. Wie gut, dass Bora sich

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