Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
aus der Tasche und träufelte eine Flüssigkeit auf ein Stofftaschentuch. Miro sah ihm starr vor Angst dabei zu. Er überlegte sich, ob er sich zur Wehr setzen sollte oder ob er versuchen sollte zu fliehen. Aber es war ihm ziemlich klar, dass er keine Chance gegen die beiden hatte. Bestechlich waren sie auch nicht. Und dann packte der Mann Miro geschickt im Nacken wie eine Katze, die ihr Junges vom Boden aufhebt, und legte ihm das Tuch vor den Mund.
«Entspannt Euch», hörte Miro ihn noch sagen, dann verschwanden die vertrauten Ledersitze der Kutsche vor seinen Augen, und er verlor das Bewusstsein.
18
«Isabella?!», stammelte Ephrion verwirrt. «Was … was redest du da?»
«Ich kann es nicht erklären», sagte Katara leise. «Es ist einfach … ich glaube, sie steckt dahinter. Ich spüre es.»
«Das ist doch absurd. Isabella wird heute auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wie kann sie denn befohlen haben, uns zu entführen?»
«Ich weiß, es ergibt keinen Sinn», gestand Katara. «Ich weiß, sie sitzt schon seit Wochen im tiefsten Verlies, angekettet an die Bergwand. Ich weiß, sie kann es nicht gewesen sein. Und doch, als ich sie gestern sah …»
«Du hast Isabella gesehen?»
«Ja. Gestern Nacht.»
«Gestern Nacht?!» , wiederholte Ephrion völlig perplex. «Bei Shaíria. Was geht hier vor? Wer … wer bist du?»
«Ich bin die Tochter Gorans», erklärte Katara.
Ephrion blieb jetzt endgültig die Spucke weg. «Du meinst, der Goran?»
«Ja, der Goran.»
«Dein Vater ist der oberste schwarze Ritter Drakars? Die rechte Hand des Königs?»
«So ist es.»
«Bei Shaíria», murmelte der dicke Junge. «Langsam beginne ich zu verstehen. Deswegen haben sie dich entführt. Du bist die Tochter des zweitwichtigsten Mannes in ganz Dark City!» Er schüttelte fasziniert den Kopf. «Wenn ich das Ansgar erzähle, wird er vor Neid erblassen. Ich sitze neben Gorans Tochter in einem Kartoffelkeller. Ich unterhalte mich mit Gorans Tochter. Gorans Tochter! Weißt du eigentlich, dass jeder zweite Schuljunge voll in dich verknallt ist und alles geben würde, um auch nur ein einziges Mal mit dir reden zu dürfen? Du hast eine ganze Menge heimlicher Verehrer, Katara.»
«Und auch eine ganze Menge Feinde, wie mir scheint», knurrte das Mädchen. «Wir müssen raus hier, Ephrion. Die Scherbe ist in meiner Hand. Schneide mir damit meine Fesseln durch.»
«Zu Euren Diensten, Tochter Gorans.»
«Lass die Floskeln und beeil dich lieber. Der Kerl kann jeden Moment zurückkommen.»
Ephrion nahm die Spiegelscherbe aus Kataras Hand und begann wie ein Weltmeister an ihren Fesseln herumzusäbeln.
19
Aliyah, Nayati und Onkel Fingal wurden von einem nicht enden wollenden Menschenstrom durch die Straßen Richtung Stadion gespült. Es wurde gejohlt, gestampft, geboxt, getanzt, gelacht und gekreischt. Die Sicherheitsgarde hatte alle Hände voll zu tun, um die Masse einigermaßen geordnet durch die Eingangstore zu schleusen. Trotz ihrer Blindheit spürte Aliyah die Erregung der Menschen, den fiebrigen Durst nach Sensation und Licht. Sie konnte ihn nicht teilen. Sie musste die ganze Zeit an den Traum zurückdenken, an ihre glühenden Füße. Etwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. Sie fühlte es mit jeder Faser ihres Körpers.
«Was hast du?», fragte ihr Onkel. «Wieder mal eine deiner Visionen?»
«Etwas wird geschehen», antwortete Aliyah wie benommen. «Ich weiß es. Etwas Furchtbares wird geschehen.»
«Ja, die Hexe wird verbrennen», bestätigte der Onkel, «das wird geschehen. Und wir können endlich wieder einmal Licht tanken. Wir können uns sattsehen am Feuer eines ganzen lodernden Scheiterhaufens. Was für ein Vorrecht, das uns König Drakar in seiner Großzügigkeit gewährt. So viel Holz auf einem Haufen ist ein Vermögen wert.»
«Trotzdem», murmelte Aliyah, «etwas stimmt nicht. Ich spüre es.»
«Zur Hölle mit deinem sechsten Sinn!», rief der Onkel ärgerlich. «Mach nicht ein Gesicht, als würdest du zu einer Beerdigung gehen. Heute ist ein Tag zum Feiern!»
Je näher sie dem Stadion kamen, desto dichter wurde das Gedränge. Aliyah spürte, wie das beklemmende Gefühl, das sie schon die ganze Zeit über hatte, stärker wurde. Ihr Mund war trocken. Ihre Hände waren kalt und feucht. Sie wollte ihre Finger in Nayatis Fell graben, um seine Nähe zu spüren. Doch der Wolf war nicht neben ihr. Sie tastete nach ihm, rief ihn beim Namen, aber er kam nicht zu ihr. Er war einfach weg! Aliyah
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