Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
zu übernehmen, ist die Welt in Ordnung.
Sein Vater hatte nie viel Zeit für ihn gehabt. Alles drehte sich in seinem Leben um Geld und Erfolg, und eigentlich hatte Miro sich nie überlegt, ob es noch andere Maßstäbe gab, nach denen man sich richten konnte. Gab es tatsächlich so etwas wie eine Bestimmung? War diese neue Dimension des Lebens, die er heute geschmeckt hatte, es wert, sie weiter zu erforschen? Und war sie es wert, den Preis dafür zu bezahlen?
Er betastete die lange Narbe an seinem Oberschenkel und musste daran denken, dass er jetzt genauso gut hätte tot sein können. Ein Schauer durchfuhr ihn, als er an das Biest zurückdachte, das sich in seinem Bein festgebissen hatte. Er wusste bis jetzt nicht, wie die Grolche eigentlich aussahen. Aber er wollte es auch gar nicht wissen. Hauptsache, er war mit dem Leben davongekommen. Doch war es das alles wert gewesen? Wäre ich gestorben, was hätte wohl auf meinem Grabstein gestanden?, überlegte sich Miro. Wofür hätte ich mein Leben gelassen? Für Dark City? Oder für eine Hexe, die sich selbst Prophetin nennt? Was ist, wenn sie uns angelogen hat? Was ist, wenn es keine Prophezeiung gibt? Aber warum haben wir dann das Schwert gefunden? Und was ist mit dem Buch? Warum würde sie es uns anvertrauen? Und Isabellas Todesschrei? Warum habe ich ihn an meinem ganzen Körper gefühlt, obwohl sie meilenweit von uns entfernt war? Was hat das alles zu bedeuten? Fragen über Fragen schossen ihm durch den Kopf, Fragen, auf die er keine Antwort wusste, so sehr er auch darüber nachgrübelte. Es war ihm, als würden die Ereignisse des Tages gegen seine Vernunft ein Tauziehen veranstalten, und es verwirrte ihn, dass er nicht wusste, auf welcher Seite des Seils er ziehen sollte.
Verstört und verunsichert starrte er vor sich hin, während er vergeblich versuchte, an etwas anderes zu denken. Es dauerte lange, bis er endlich in einen unruhigen Schlaf fiel.
Die schwarzen Ritter erreichten das Haus der alten Frau lange nach Mitternacht. Sie sprangen von ihren Pferden, zückten ihre Schwerter und verteilten sich mit ihren Fackeln um das Haus. Auf das Zeichen ihres Anführers hin stießen einige mit ihren schweren Stiefeln die Tür auf und betraten das Haus. Der Holzboden knirschte unter ihren Füßen. Ein Fenster stand offen, und der Wind blähte die weißen Vorhänge auf, die sich davor befanden. Ein Wecker stand auf einer Kommode und tickte laut und penetrant vor sich hin. Die Tür zur Vorratskammer knarrte und drehte sich in ihrer Angel. Einer der Ritter öffnete sie mit der Faust und durchleuchtete sie mit der Fackel. Die Regale waren leer.
Zwei andere Ritter durchsuchten die Schlafkammer und durchwühlten sämtliche Schränke, konnten allerdings niemanden finden. Ein dritter Ritter klopfte währenddessen systematisch den Boden ab, bis er in der Mitte des Wohnzimmers auf das stieß, wonach er suchte. Er kniete sich hin, schob den Teppich zurück, klaubte eine lose Leiste aus dem Boden und fischte eine Metallschatulle aus dem Hohlraum. Triumphierend überbrachte er sie seinem Vorgesetzten. Als dieser sie öffnete, stieß er einen Fluch aus und schleuderte die leere Schatulle wütend in die Ecke.
«Stellt hier alles auf den Kopf. Lasst keinen Stein auf dem anderen. Klopft Wände, Fußboden, Decke, einfach alles ab! Wir müssen es finden!»
Man gehorchte ihm, aber ohne Erfolg. Es gab hier nichts mehr zu entdecken.
Dann gab der Ritter den Befehl, das Haus niederzubrennen. Mit großer Genugtuung steckten die Männer die Vorhänge, die Holzregale, die Stühle und den Küchentisch in Brand und kehrten zu ihren Pferden zurück. Aus sicherer Entfernung beobachteten sie, wie das Feuer sich rasch ausbreitete. Gierig sogen sie das viele Licht in sich hinein. In wenigen Minuten züngelten die Flammen bis zur Decke hoch und fraßen sich durch die dicken Holzbalken. Das Haus ächzte und stöhnte. Immer höher schlugen die Flammen, bis das ganze Haus lichterloh brannte. Als der erste Balken krachend in die Küche stürzte und das halbe Dach über dem Wohnzimmer zusammenbrach, wendeten sich die Ritter zufrieden ab und galoppierten mit wehenden Umhängen in die Nacht hinein.
46
Der Morgen kam viel zu früh. Ephrion war als Erster wach und fühlte sich außer einem furchtbaren Muskelkater erstaunlich fit. Rein gefühlsmäßig mochte es kurz nach sechs Uhr in der Früh sein. Die anderen schliefen tief und fest, und Ephrion fand es besser, sie noch etwas schlafen zu lassen. Der Weg bis
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