Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
würde. Es würde schwierig werden, unbemerkt in die Burg und in den Kerker zu gelangen. Aber noch schwieriger würde es werden, in ihr eigenes Zuhause einzubrechen wie eine Diebin.
Die Worte fielen ihr ein, die das Mütterchen ihr gesagt hatte, bevor sie sie auf ihre Mission sandte. Was auch immer geschieht, vergesst nie, wer Ihr seid. Niemals.
Aber wer bin ich?, überlegte Katara mit pochendem Herzen. Wer bin ich wirklich?
Goran saß in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch und blickte dumpf vor sich hin. Sein Gesicht war grau. In seinen großen Händen hielt er ein Bild. Es zeigte Katara als Baby, gehalten von zwei kräftigen Händen. Goran starrte die Darstellung an, und sein Mund begann zu zucken. Mit aller Kraft kämpfte er gegen die Gefühle an, die in ihm hochstiegen. Ein Knoten bildete sich in seinem Hals, und seine Augen wurden feucht. Er sträubte sich dagegen und versuchte, stark zu bleiben. Sein Ruf als schwarzer Ritter verbot es ihm, die Fassung zu verlieren. Doch er konnte die Träne nicht mehr zurückhalten, die sich von seinem Auge löste. Sie tropfte auf das Baby und auf die Hände, die es auf dem Bild in die Höhe hielten. Es zerriss Gorans Seele, als er diese Hände betrachtete. Denn er wusste: Es waren nicht seine.
«Lasst mich raus!»
«Haltet gefälligst Euer Mundwerk!»
«Ich bin unschuldig!»
«Das könnt Ihr übermorgen dem Henker sagen!»
Der Gefangene zerrte an den Gitterstäben seiner Zelle und schrie und fluchte. Seine Zelle war drei Armspannen tief und eine Armspanne breit. Links und rechts befanden sich weitere Zellen, die durch dicke Wände voneinander abgetrennt waren. Die Vorderseite war mit einem Eisengitter versehen, das vom Boden bis zur Decke reichte.
Der Bursche war in Lumpen gehüllt, und sein verfilztes Haar hing ihm in dicken dunkelblonden Filzlocken bis zu den Hüften. Ein Ring zierte seinen linken Nasenflügel. An seinem rechten Handgelenk befand sich ein breites Lederarmband mit Nieten. Seine Haut war kaffeebraun, seine Augen stechend wie zwei goldbraune Diamanten. Sein Alter war schwer zu schätzen. Er wirkte jung und kräftig und gleichzeitig zu erwachsen, um noch als Teenager durchzugehen. Er mochte um die neunzehn, zwanzig Jahre alt sein.
Die Soldaten, die im Gang Wache hielten, standen in ihren roten Waffenröcken breitbeinig vor ihm und grinsten ihn unverhohlen an. Der eine der beiden leuchtete mit der Fackel in das muffige Verlies hinein.
«Ihr haltet Euch wohl für was ganz Besonderes, wie?»
«Ihr habt kein Recht, mich hier festzuhalten», schnaubte der Gefangene, «ich hab nichts getan, was gegen das Gesetz verstößt.»
«Ihr habt aus der königlichen Bäckerei Brot gestohlen. Darauf steht der Tod.»
«Mann, Alter, wie oft soll ich es noch sagen: Ich hab kein Brot gestohlen», zischte der Gefangene. «Ich schwör’s bei der Seele meiner Mutter.»
«Schwört besser auf jemanden, der eines Schwurs würdig ist.»
Der Gefangene ballte die Hände zu Fäusten. «Sagt ja nichts gegen meine Mutter, klar? Sie war eine ehrbare Frau. Sie hatte Achtung vor dem Leben, im Gegensatz zu euch Schweinehunden, die unschuldige Bürger ohne jeden Grund zum Tode verurteilen.»
Er klammerte sich mit seinen schmutzigen Händen an das Gitter und durchbohrte die Soldaten mit einem vernichtenden Blick. «Wenn ich hier rauskomm, dann werd ich eure dämlichen Pickelgesichter so übel zurichten, dass ihr euch für den Rest eures Lebens wünscht, mir nie begegnet zu sein.»
«Eine große Klappe und wenig Hirn», winkte der eine Soldat amüsiert ab. «Ihr werdet hier schneller rauskommen, als Euch lieb ist. Der Henker schleift bereits sein Schwert für Euch. Übermorgen in der Früh wird Euer Kopf rollen, Nummer dreiundvierzig. Vergesst das nicht.» Sie lachten geringschätzig und entfernten sich von dem Gefangenen. Provozierend spuckte er hinter ihnen her, doch sie sahen es nicht.
45
Der Abstieg durch den keilförmigen Spalt im Felsen war nicht weniger gefährlich als der Aufstieg. Und die aufkommende Dämmerung erschwerte das Klettern zusätzlich. Erschöpft und müde erreichten die Jugendlichen schließlich die weite, moosbewachsene Ebene unterhalb der Grolchenhöhle, und Miro sprach ihnen aus dem Herzen, als er meinte:
«Heute gehe ich keinen Schritt mehr weiter. Lasst uns hier übernachten.»
Sie fanden ein vom Wind geschütztes Plätzchen am Fuße der Steilwand mit ein paar losen Felsbrocken. Hier ließen sie sich nieder und hatten das erste Mal an diesem Tag das
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