Dark Future: Herz aus Eis
Schimmer auf die glitzernde Oberfläche. Raina lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf die unsichere Weite des I-Poles. Keine Abteilung des Transportministeriums war zuständig für die Instandhaltung der Straße, und das bedeutete, dass der I-Pole nicht mehr als eine flache Spur im endlosen, eisigen Ödland war.
Vor ihnen lag ein Bogengang, geformt aus Schnee und Eis. Mit seinen beeindruckenden Ausmaßen wölbte er sich über den alten Highway und ragte über ihnen auf, als sie näher kamen. Die Lichter des Trucks wurden von den gigantischen Wänden reflektiert und leuchteten jede eisige Kante und jede gefrorene Spalte aus.
»Wir sind auf dem Eisfeld. Mit Glück werden wir Gladow in ungefähr sechsundvierzig Stunden erreichen«, sagte sie und hob die Hand, um ein Gähnen zu verbergen.
»Siebenundvierzig Stunden und achtundzwanzig Minuten.«
Sie biss die Zähne zusammen. »Was? Du kannst mir nicht die exakte Sekunde unserer Ankunft vorhersagen?«
»Wenn man die Geschwindigkeitsschwankungen berücksichtigt, das Verhältnis von Be- und Entschleunigung, den Luftwiderstand, die Reibung durch das Reifenprofil auf dem Eis, unvorhergesehene …«
»Vergiss es«, murmelte Raina. Wieder hob sie die Hand, um ein Gähnen zu verstecken.
»Es wäre vernünftig, wenn ich fahre, während du schläfst«, stellte Wizard fest.
Nur über meine Leiche.
Sie brauchte seine Hilfe nicht, wollte seine Hilfe nicht, schaffte das hier gut allein, vielen Dank. »Ich bin es gewohnt, allein zu fahren«, erwiderte sie. Dann fügte sie mit einer hohen Stimme, süß wie Sim-Süßstoff, hinzu: »Trotzdem vielen, vielen Dank für das Angebot.«
»Du willst die gesamte Strecke fahren, ohne eine Pause zu machen?« Er klang nicht skeptisch, sondern nur neugierig.
»Nein. Ich werde das tun, was ich immer mache: an die Seite fahren, schlafen und dann weiterfahren. Die Regeln für das Rennen nach Gladow besagen, dass nur ein Fahrer erlaubt ist.
Einer.
Das bin ich. Wenn du fährst, werde ich disqualifiziert.« Sie spürte, dass er dicht hinter ihr stand, und sie war sich seiner Anwesenheit sehr bewusst. Ob er die Bedeutung des Ausdrucks
Jemandem auf die Pelle rücken
kannte? »Hör mal, Wizard, ich bin es gewohnt, es allein zu schaffen. Ich brauche keine Hilfe. Ich nehme dich nur mit. Verstanden? Und ich weiß nicht mal so genau, warum du überhaupt hier bist, warum du dir bei
Bob’s Truck Stop
nicht eine Mitfahrgelegenheit gesucht hast und dorthin zurückgefahren bist, woher auch immer du gekommen bist.«
»Du willst diesen Preis gewinnen«, machte er klar, ohne auf ihren Monolog einzugehen.
»Ja. Und was willst du mir damit sagen?«
»Wenn du schläfst, statt zu fahren, verlierst du kostbare Zeit.«
»Falls ich einschlafen und meinen Truck kaputt fahren sollte, werde ich tot sein, statt zu fahren. Wenn ich dich ans Steuer lasse, werde ich disqualifiziert.« Im Übrigen wollte sie nicht, dass irgendjemand außer ihr den Truck fuhr. Es war ihr Fahrzeug.
Ihres.
Hart verdient mit Blut, Schweiß und Tränen. »Ich mache nur ein kurzes Nickerchen. Im Übrigen ist der I-Pole viel schneller als der ICW . Ich bin den anderen schon ein Stückchen voraus.« Und sie würde seine Hilfe nicht akzeptieren. Niemandes Hilfe. Sie hatte gelernt, nur auf sich selbst zu vertrauen. So wurde man wenigstens nicht enttäuscht.
»Der ICW …«
Was auch immer er hatte sagen wollen, ging verloren, als das Umgebungsradar ein Signal von sich gab und Wizard im gleichen Moment in den Außenspiegel blickte. Sie wartete einen Herzschlag lang, dann sah sie es ebenfalls – einen Lichtschimmer. Raina griff nach oben und löschte die Innenbeleuchtung, ehe sie auch die vorderen Lichter des Trucks abschaltete. Jemand folgte ihnen, und als sie ein weiteres Signal vom Radar hörte und einen zweiten Lichtschimmer erblickte, wurde ihr klar, dass, wer auch immer es war, schnell näher kam und dass es anscheinend egal war, ob sie es wusste.
Wizard nahm auf dem Beifahrersitz Platz, machte das Fenster auf und lehnte sich hinaus. Als könnte er in tiefster Nacht in der Ferne irgendetwas erkennen. Raina schüttelte den Kopf.
Nach einem Moment richtete er sich wieder auf und schloss das Fenster. »Drei Sattelzüge.
Janson
-Trucks. Geschwindigkeit: fünfundsiebzig Kilometer. Beschleunigung: fünf Komma drei Meter pro Quadratsekunde. Voraussichtliche Ankunft …«
»Und woher weißt du das?«, fragte Raina, besann sich dann jedoch eines Besseren. »Vergiss es.«
Sie schaltete
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