Dark Heart: Zweiter Band
Nachtrabe ist keine Legende. James hat mir anvertraut, dass sie es war, die ihn vor über einhundertfünfzig Jahren zum Vampir machte.«
»Wissen Sie, wo ich meinen Vater finden kann?«, fragte ich angespannt.
»James Milton will nicht gefunden werden«, sagte Martha. »Genauso wenig wie Nachtrabe, in deren Diensten er wohl immer noch steht.«
»Dann sagen Sie mir wenigstens, wo diese Hütte ist!« Ich verlor langsam die Beherrschung. »Bitte, verraten Sie es mir! Vielleicht finde ich da einen Hinweis auf ihn.«
Martha sah mich lange und prüfend an. »Zwischen Sheslay und Hyland Ranch, fünfundzwanzig Kilometer nördlich von Telegraph Creek, liegt ein kleiner namenloser See. In der Nähe des Südufers, etwa drei Kilometer weit im Wald, befindet sich die Hütte«, sagte sie schließlich.
»Danke.« Ich seufzte erleichtert.
»Danken Sie mir nicht zu früh«, sagte Martha. »Sie werden den Weg zu Fuß zurücklegen müssen. Das Gelände ist unwegsam und nach Einbruch der Dunkelheit kommen die Nachtgeschöpfe. Sie müssten sich also beeilen.« Unter dem Kragen ihres ausgeleierten Rollis zog sie nun eine Kette hervor und nahm sie ab. Eine Kapsel aus ziseliertem Silber hing daran, etwa walnussgroß und von winzigen Löchern übersät. Der Duft, den sie verströmte, war würzig, fast streng, aber nicht unangenehm. Er erinnerte an frisch gemähtes Gras. Doch darunter mischte sich ein stechender Kampfergeruch. So roch auch die Salbe, dir mir Mom immer anrührte, wenn bei mir nach dem Joggen mal eine Sehne überdehnt oder entzündet war.
»Nachtgeschöpfe verfügen über einen hochsensiblen Geruchssinn«, sagte Martha. »James hatte mir einmal erklärt, dass jeder Vampir einen charakteristischen Duft hat, an dem er von anderen erkannt wird. Außerdem können sie über verschiedene Gerüche Botschaften untereinander austauschen. Dies hie r …« Sie hielt die kleine Kapsel in die Höhe. »Dies hier ist eine Mischung verschiedener Essenzen, deren Zusammensetzung in der Handschrift genau beschrieben wird. Sie hat eine abschreckende Wirkung auf Nachtgeschöpfe. Nicht so verheerend wie Sonnenlicht, aber sehr schmerzhaft.« Sie reichte mir den Anhänger. »James hat mir diese Kräuter geschenkt, als wir uns trennten. Zum Schutz vor anderen Nachtgeschöpfen, wie er sagte. Sie können so etwas sicher gut gebrauchen.«
Ich nahm das kostbare Geschenk entgegen, schüttelte es vorsichtig, hörte es daraufhin rascheln, dann roch ich noch einmal daran. Mir war sehr wohl bewusst: Martha hatte mir nicht nur ein wirksames Abwehrmittel gegen Vampire geschenkt, mit dem sich Menschen im Notfall schützen konnten. Sie hatte sich dabei auch von einem wertvollen Andenken an ihren einstigen Geliebten getrennt. »Danke«, sagte ich leise. »Aber wie kommen Sie ohne diesen Schutz zurecht?«
»Machen Sie sich um mich keine Gedanken.« Martha erhob sich ächzend von der Couch, um mir beim Einhaken des Verschlusses zu helfen. »So, und jetzt werde ich zu Bett gehen. Meine morschen Knochen brauchen Ruhe. Wie spät ist es?«
»Kurz nach drei«, sagte ich nach einem Blick auf die kleine Messinguhr, die auf dem Schreibtisch tickte.
»Alt werden ist nichts für Feiglinge«, sagte Martha und hustete bedrohlich. »Aber ewig zu leben, nicht loslassen zu können, das stelle ich mir erst recht schrecklich vor. Grüßen Sie Ihren Vater von mir. Und sagen Sie ihm, dass ich ihn immer noch vermisse.«
Jack erwachte noch…
J ack erwachte noch vor Sonnenaufgang, aber es dauerte, bis er auch die Benommenheit, die ihn seit seiner Rückverwandlung plagte, abgeschüttelt hatte. Doch nachdem ihm Sam einen Kaffee und etwas zu essen gebracht hatte, kehrten seine Lebensgeister langsam wieder zurück. Immer wieder betrachtete er seine zitternden Hände, die kaum den Becher halten konnten.
»Ich hatte fast vergessen, wie es sich anfühlt, lebendig zu sein«, sagte er mit einer seltsam fremden Stimme. Er war schmal, sein einst so glänzendes schwarzes Haar war matt und unordentlich. Allerdings ging es ihm besser als Hank.
Mark betrachtete Jack mit einer Mischung aus abwartender Neugierde und misstrauischer Reserviertheit. »Tut mir leid wegen des Auges«, sagte er.
Jack betastete die Schwellung und verzog das Gesicht. »Ist schon okay. Ich glaube, das nennt man Notwehr.«
Ich bemerkte, dass Mark mich und Jack genau beobachtete. Ich hatte jedoch nicht vor, Marks Vertrauen aufs Spiel zu setzen. Er hatte Jack immer als deutlich überlegenen Konkurrenten betrachtet,
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