Dark Inside (German Edition)
aufbehalten zu müssen.
Kein Schlüssel im Briefkasten. Michael fuhr mit den Fingern über den oberen Rahmen der Tür. Dann machte er einen Schritt nach hinten, bückte sich und drehte die Matte um. Nichts. Nur ein wenig Schmutz und ein paar Kieselsteine.
Billy gesellte sich zu ihm und fing an, die Blumentöpfe vor dem Fenster umzudrehen. Erde rieselte auf die Fensterbänke aus Holz.
»Kein Schlüssel«, stellte Michael fest.
»Dann schlagen wir eben ein Fenster ein«, erwiderte Billy. »Ohne Fleiß kein Preis.«
»Kein Lärm.«
Billy zog seine Jacke aus und wickelte sie um seinen Arm. Dann lehnte er sich an den Türrahmen und drückte kräftig gegen die Fensterscheibe. Als das Glas zersprang und auf dem Boden landete, hielten alle den Atem an.
Sie warteten.
Der Wind fuhr durch die Zweige der abgestorbenen Bäume und brachte die Windspiele aus Messing zum Klimpern. Michael lief es wieder eiskalt über die Haut und er spürte, wie sich die Haare in seinem Nacken aufrichteten.
Billy holte Glasscherben aus dem Rahmen, bis das Loch in der Tür so groß war, dass er seinen Arm hindurchstecken und den Riegel umlegen konnte. Metall schabte auf Holz und die Tür öffnete sich einige Zentimeter.
»Hereinspaziert«, sagte Billy. »Gleich werden wir wie die Könige speisen.«
»Es muss schnell gehen«, drängte Michael. »Rein und wieder raus. Wir sind hier viel zu ungeschützt.«
»Du machst schon wieder auf paranoid. Komm mal wieder runter, Mann. Hier gibt es keine Hetzer. Wir sind sicher.«
Sie waren nie sicher.
Michael wusste das. Aber da Billy in diesem Moment nur daran dachte, sich den Bauch vollzuschlagen, war es sinnlos, ihm einen Vortrag zu halten.
Die Hintertür führte zu einem kleinen Vorraum. An Garderobenleisten aus Holz hingen Jacken für alle Jahreszeiten und auf Regalen standen Schuhe und Stiefel. Eine der Jacken, die direkt hinter der Tür hing, war leuchtend pink und hatte eine mit Kunstpelz besetzte Kapuze. Daneben baumelten Handschuhe, die durch ein Band miteinander verbunden waren. Auf dem Boden lag eine Schultasche, deren Reißverschluss geöffnet war. Lose Blätter mit der Handschrift eines Kindes lugten heraus.
Michael warf sofort einen Blick auf Evans, um seine Reaktion einzuschätzen. Der Ältere starrte mit versteinertem Gesicht die pinkfarbene Jacke an. Für Evans war es am schlimmsten; er würde wohl nie erfahren, was aus seiner Familie geworden war. Und es würde immer etwas geben, das ihn daran erinnerte und dafür sorgte, dass er es nie vergaß.
Evans streckte die Hand aus und berührte die Jacke. Um ein Haar hätte Michael ihn gefragt, ob alles in Ordnung sei, ließ es dann aber. Außer ihm hatte niemand etwas von Evans’ Geste mitbekommen und das Ganze war zu persönlich, um ihn vor den anderen darauf anzusprechen. Michael fand den Lichtschalter an der Wand und legte ihn ein paarmal um. Nichts passierte, aber das hatte er auch erwartet. Es gab schon seit Wochen keinen Strom mehr. Seine Hand ging immer zum Lichtschalter; nicht, weil alte Gewohnheiten schwer abzulegen waren, sondern weil es ihm Hoffnung gab. Vielleicht würden sie eines Tages wieder den Luxus genießen, auf Knöpfe drücken zu können und alles zu haben, was sie wollten. Doch jetzt gab es Wichtigeres zu tun, als zu träumen – vor allem, weil Billy schon wieder vorausgegangen war und die Küche betreten hatte, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es gefährlich sein könnte. Bisher hatten sie Glück gehabt, aber es konnte auch schnell vorbei sein.
Michael rannte ihm hinterher in eine der schönsten Küchen, die er je gesehen hatte. Sie war riesig, größer als die Wohnung mit nur einem Schlafzimmer, in der er mit seinem Vater gewohnt hatte.
Billy riss mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit die Schranktüren auf. Bis jetzt hatte er nur zahllose Teller, Kaffeebecher und Tupperware gefunden. Auf der Arbeitsplatte standen alle möglichen Geräte. Tischbackofen, Espressomaschine, Küchenmaschine, Standmixer – alles so strategisch platziert, als hätte Martha Stewart die Inneneinrichtung übernommen. Über einer gigantischen Kücheninsel hingen Töpfe und Pfannen aus Kupfer und auf ihrer Arbeitsplatte stand eine silberne Schale mit verschimmelten Äpfeln und Birnen. Das verdorbene Obst war der einzige Beweis dafür, dass diese Küche früher einmal von jemandem benutzt worden war.
»Wir sollten uns zuerst den Rest des Hauses ansehen«, sagte Evans. Er hatte sich neben Michael gestellt und
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