Dark Inside (German Edition)
den Fruchtcocktail nicht hatte schlucken können.
»Komm mit«, sagte Evans zu ihr. »Oben ist ein Zimmer. Wir sollten den Jungen für eine Weile schlafen lassen. Ich glaube, wir sind hier sicher und können über Nacht bleiben. Aber nur eine Nacht. Bei Sonnenaufgang müssen wir weiter. Der Rest von euch sollte es sich besser nicht zu gemütlich machen. Wir müssen schon etwas tun, um uns unser Essen zu verdienen. An beiden Türen und draußen werden Wachposten aufgestellt.«
Michael nickte. Er hätte es nicht besser sagen können. Er half der Mutter beim Aufstehen. Sein Angebot, den Jungen zu tragen, schlug sie aus, doch sie war damit einverstanden, dass er sie nach oben zu einem der leeren Schlafzimmer begleitete.
Sie waren in Sicherheit. Es geschahen also doch noch Wunder.
MASON
Mitten im Stadtzentrum von Calgary blieb sein Auto schließlich stehen. Er hörte ein lautes Geräusch, das wie ein Schuss klang, und duckte sich automatisch, während er auf die Bremse trat. Das Lenkrad ruckte unter seinen Händen, als der Wagen zum Stehen kam. Der Motor stotterte und ging dann aus. Über ihm schwankte die nach dem Stromausfall nutzlos gewordene Ampel im Wind. Es war die einzige Bewegung auf der ansonsten leeren Straße.
Er fluchte, zog die Schlüssel aus der Zündung und warf sie auf das Armaturenbrett. Das bisschen Leben, das in der Stadt noch übrig war, schien vor der Zerstörung und dem Tod da draußen einen Heidenrespekt zu haben und verbarrikadierte sich zu Hause. Wie viele Menschen waren noch am Leben? Wie viele von ihnen waren nicht verrückt? Oder infiziert? Oder was auch immer das hier eigentlich war? Mehrere Wochen waren vergangen und Mason (und vermutlich auch alle anderen) hatte immer noch keine Ahnung, was vor sich ging. Es gab zumindest auch nach wie vor keine Möglichkeit zu kommunizieren. Falls jemand wusste, was los war, konnte er das niemandem sagen.
Mason wusste nur, dass viele Menschen gestorben waren. Sehr viele. Wenn die Fernsehstationen noch senden würden, würden sie das hier wohl eine Pandemie epischen Ausmaßes nennen.
Er stand mitten auf der Kreuzung. Die Ampeln über ihm blieben dunkel. Die Stadt war ein Friedhof aus Stromkabeln und Elektrogeräten. Er war fast die ganze Nacht gefahren und hatte kein einziges Mal Licht gesehen, weil auch die meisten der kleinen Gemeinden auf dem Land keinen Strom mehr hatten – bis auf einige wenige Farmen, die vermutlich einen Generator benutzten. Mason wollte nicht anklopfen und fragen. Das Letzte, was er jetzt wollte oder ihm zustand, war Gesellschaft.
Er würde nie wieder etwas empfinden. Irgendwie war er nicht mehr der gleiche Mason wie früher. Seine Mutter war gestorben, damit er leben konnte. Doch Mason war überzeugt, dass sie ihn mit einem Fluch zurückgelassen hatte.
Mehrere Gebäude in der Nähe des Deerfoot Trails standen in Flammen. Er konnte den Rauch im Rückspiegel sehen. Vor einer halben Stunde war er noch mittendrin gewesen, das Hemd fest auf die Nase gedrückt, die Fenster geschlossen. Er kam nur langsam vorwärts, zu viele Autos standen verlassen und mit offenen Türen auf dem Freeway herum. Neben der Straße lagen verbrannte Leichen. Ihre Münder waren wie zu einem stummen Schrei aufgerissen. Die irren Bestien, die die Stadt unsicher machten, mussten sie in das Feuer getrieben haben. Was war schlimmer? Von Wahnsinnigen in Stücke gerissen zu werden oder bei lebendigem Leib zu verbrennen? Mason wusste es nicht.
Als er an ihnen vorbeigefahren war, hatte er den Blick starr geradeaus gerichtet und so getan, als würde es die Leichen gar nicht geben. Und er hatte sich einzureden versucht, dass der Gestank in der Luft nicht von verbranntem Fleisch kam.
Er beschloss, nie wieder durch Rauch zu fahren. Wenn er das nächste Mal ein Feuer sah, würde er die Stadt komplett umfahren. Auf diese Bilder konnte er gerne verzichten. Und auf den Geruch. Bei der ersten Gelegenheit würde er seine Kleidung loswerden müssen.
Du vergisst das Gute und erinnerst dich nur an das Schlechte. Das hatte seine Mom früher immer gesagt. Fetzen von Erinnerungen an sie schlichen sich immer noch in sein Bewusstsein, wenn er am wenigsten damit rechnete. Der Duft ihres Parfüms. Die Art, wie sie lächelte. Er gab sich solche Mühe, sie zu vergessen. In den letzten Wochen war er so weit gefahren, doch sie verfolgte ihn immer noch. Wenn er einschlief, war sie da. Wenn er anhielt, um eine Pause zu machen, oder wenn er einmal nicht auf der Hut war, war sie das
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