Dark Inside (German Edition)
und zufrieden, aber es gab einen Krieger, der immer mehr wollte. Er wollte reisen und die Welt sehen und in Kriegen kämpfen, von denen er wusste, dass er sie gewinnen würde; doch als er wieder nach Hause kam, war er enttäuscht und frustriert. Es gab keinen Ort auf dieser Welt, der sein Herz anrühren konnte. Er wollte Liebe, doch keine Frau war schön genug für ihn. Er wollte feines Essen, doch die Austern schmeckten wie Sand und das Wild war nie zart genug für seine Zunge. Deshalb wurde sein Herz kalt und hart und er verbrachte seine Tage abseits von seiner Familie und seinem Stamm, weil er sich weigerte, zu helfen oder irgendetwas zur Gemeinschaft beizutragen.
Eines Tages beschloss er, einen Spaziergang zu machen. Als er das Ufer des Ozeans erreicht hatte, traf er dort auf ein Kanu, in dem ein Fremder saß. Der Krieger wusste nicht, dass dieser Fremde Khaals war, der große Schöpfer, der von allen geachtet und gleichzeitig gefürchtet wurde. Khaals konnte Menschen in Tiere und sogar in Bäume und Felsen verwandeln. Häufig bestrafte er Menschen für ihre Missetaten und zeigte dabei kein Mitgefühl. Wenn ein Krieger sich seiner Taten brüstete, konnte es vorkommen, dass Khaals erschien und ihn in einen Hirsch verwandelte, damit er spürte, wie es ist, wenn man gejagt wird. Wenn ein Mann außer seiner eigenen Frau noch anderen Frauen hinterherrannte, verwandelte ihn Khaals in einen Baum, damit er nie wieder laufen konnte.
›Warum gehst du hier am Meer entlang?‹, fragte Khaals. ›Ich kann doch hören, dass dein Stamm ein Fest feiert. Warum bist du nicht bei deinen Leuten?‹
›Es gibt nichts, was mich interessiert‹, antwortete der Krieger. ›Warum lebe ich, obwohl ich doch weiß, dass ich sterben werde? Warum soll ich lieben, wo doch alle Frauen so hässlich und oberflächlich sind? Ich habe alles gesehen, was es zu sehen gibt, und es gibt für mich keine Wunder mehr. Ich habe alles getan, was es wert ist, getan zu werden. Das Leben ist keine Herausforderung mehr für mich. Ich langweile mich.‹
Khaals gehörte zu der Sorte von Geistern, die man besser nicht ärgern sollte, und die Worte des Kriegers missfielen ihm. Er starrte den Krieger an und las seine Gedanken.
›Du hältst das Leben also für langweilig? Ich werde dir zeigen, um was es dabei wirklich geht‹, sagte Khaals und dann verwandelte er den Krieger in einen flachen, glatten Felsen.
›Ich werde wiederkommen, wenn du etwas gefunden hast, für das es sich zu leben lohnt‹, verkündete Khaals.
Der Krieger war Tausende von Jahren in seinem steinernen Gefängnis gefangen. Die Welt um ihn herum veränderte sich. Er sah, wie sein Volk dem weißen Mann unterlag, er sah, wie die Stadt immer größer wurde und ihn schließlich von allen Seiten umgab, und er sah die Gräueltaten, zu denen die Menschheit fähig war. Doch seine Seele ließ sich nicht erweichen.
Eines Tages tauchte eine Frau auf. Sie war eine ganz normale Frau, an ihr war nichts Besonderes. Doch sie kam mit dem Wind und auf ihrem Haar lag der Duft von Wildblumen. Sie setzte sich auf den Felsen und zog ein Buch heraus, um darin zu lesen. Ihre sanfte Berührung bewegte den Krieger tief, und als sie einige Stunden später wieder ging, stellte er fest, dass er sie vermisste.
Zu seiner großen Freude kam sie am nächsten Tag mit dem Buch in der Hand wieder und am Tag darauf auch. Bald wartete er auf ihr Kommen und jedes Mal, wenn sie wieder ging, war er am Boden zerstört. Er sehnte sich danach, mit dieser gewöhnlichen Frau zu sprechen, ihr Haar zu berühren, ihr zu sagen, wie viel sie ihm bedeutete.
Eines Morgens, nach vielen Monaten, erblickte der Krieger plötzlich Khaals’ Boot auf dem Wasser. Der Schöpfer war zurückgekehrt, so, wie er es versprochen hatte.
›Weißt du, warum ich zurückgekommen bin?‹
›Ich habe etwas gefunden, für das es sich zu leben lohnt‹, erwiderte der Krieger.
›Aber sie ist keine große Schönheit‹, sagte Khaals. ›Sie wird dir nicht die Welt bringen. Sie wird nicht dafür sorgen, dass dir dein Essen besser schmeckt. Sie ist ganz und gar gewöhnlich.‹
›Sie trägt den Wind in ihren Haaren und ihre Augen sehen meine Seele‹, antwortete der Krieger. ›Die Austern werden nach Meer schmecken statt nach Sand, weil sie mir helfen wird, ihren wahren Geschmack zu entdecken. Für mich ist sie schön genug.‹
Und damit verwandelte Khaals den Felsen wieder in sein wahres Selbst zurück. Als die Frau zurückkam, fand sie anstelle des
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