Dark Inside (German Edition)
dass mir die Füße wehtun. Ich brauche ganz dringend eine Pediküre. Wenn das so weitergeht, bekomme ich noch Hornhaut.«
»Wenn nicht überall Straßensperren wären, könnten wir ja fahren«, sagte Mason. »Außerhalb von Banff dürfte es besser sein, aber wenn wir ins Fraser Valley kommen, wird es vermutlich wieder schlimmer.«
»Du kennst dich dort gut aus, stimmt’s?«
Mason zuckte mit den Schultern. »Ein bisschen. Wir sind fast jeden Sommer zum Campen hingefahren. Es war der Lieblingsort meiner Mom.«
»Tut mir leid.«
»Warum? Du hast sie doch nicht getötet.«
»Es tut mir einfach leid. Es tut mir leid, dass es nie wieder Campingausflüge für Kinder geben wird, nie wieder Rockbands, nicht einmal neue Bücher zum Lesen. Keine neuen Kinofilme oder Tüten mit frischem Popcorn. Das ist doch echt Scheiße, wenn man darüber nachdenkt. Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass wir diesen Krieg gewinnen, aber das wird vermutlich eine Weile dauern. Es wird wahrscheinlich erst so weit sein, wenn es dich und mich schon gar nicht mehr gibt.«
»Ich versuche, nicht darüber nachzudenken.«
»Manchmal ist es das Einzige, worüber ich nachdenke.«
»Warum? Dabei kommen doch nur schlechte Erinnerungen hoch.«
Chickadee sprang vom Bett und ging zu ihm hinüber. Sie blieb dicht vor ihm stehen. »Es gibt zwei Arten von Menschen auf dieser Welt. Menschen, die alles, womit sie konfrontiert werden, einfach so hinnehmen. Sie leben im Dunkeln. Sie sind die Verlierer. Sie ignorieren, was die Zukunft bringen könnte oder was sie tun könnten, damit sich etwas ändert. Und es gibt Menschen wie mich. Optimisten. In Zeiten wie diesen leben auch sie im Dunkeln, aber sie träumen vom Licht. Ich vertraue darauf, dass alles besser werden kann. Ich glaube, dass das Leben mehr ist als das hier. Ich muss. Ich habe keine andere Wahl.«
Sie lehnte sich an ihn und Mason konnte ihr Haar riechen. Kokosnuss. Einer ihrer Zöpfe streifte seinen Arm und sie sah ihm in die Augen. Plötzlich wünschte er sich, sie würde ihn ewig so ansehen. Ihr schönes Gesicht, das so strahlend und so voller Leben war – es gab niemanden auf dieser Welt, der so außergewöhnlich war wie sie. Seiner Mutter hätte sie gefallen.
»Das Bad ist in Ordnung«, sagte Paul, als er wieder ins Zimmer kam. »Es hat ein Fenster, das groß genug ist, um sich durchzuquetschen, wenn wir schnell verschwinden müssen.«
»Gut.« Chickadee bückte sich und hob ihren Rucksack auf. »Was gibt es zu essen?«
Sie kippten ihre Beute auf den Boden und aßen Bohnen aus der Dose und Müsliriegel, dazu teilten sie sich zwei Äpfel, die aus irgendeinem Grund nicht verschimmelt waren. Das Ganze spülten sie mit warmer Limonade hinunter. Danach saßen sie einfach nur da und lauschten auf die Stille, während es im Zimmer immer dunkler wurde. Sie waren zu nah an der Hauptstraße, um es riskieren zu können, eine Kerze anzuzünden.
»Erzähl uns eine Geschichte, Paul«, sagte Chickadee nach einer Weile. Sie wandte sich an Mason. »Pauls Urgroßvater war früher ein richtiger Geschichtenerzähler. Paul kennt alle alten Legenden. Sie sind wirklich gut.«
»Stark.«
»Du kennst sie doch schon alle.«
»Ja, aber Mason nicht. Du musst ihm eine Geschichte erzählen. Erzähl ihm die, in der der Kojote das Feuer stiehlt.«
Es war zwar fast dunkel im Zimmer, doch der Blick, den Paul dem Mädchen zuwarf, war nicht zu übersehen. Mason wusste nicht, was er davon halten sollte. Vielleicht hatten sich die beiden vorhin gestritten und er hatte es nicht mitbekommen. Doch Paul sah eigentlich gar nicht wütend aus. Eher verletzt. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen und in seinen Augen stand eine tiefe Sehnsucht. Vielleicht war er in Chickadee verliebt – das würde einiges erklären –, aber er hatte selbst gesagt, sie sei wie eine Schwester für ihn.
Was immer es auch war, es schnürte Mason die Kehle zu, als er den Blick sah, den Paul ihr zuwarf. Seine Augen sahen dabei so unglaublich traurig aus.
»Ich werde eine andere Geschichte erzählen«, begann Paul.
»Vor Tausenden von Jahren lebte einmal ein Stamm am Ufer des Pazifiks, an der Stelle, an der heute Vancouver ist. Sie waren Jäger und Sammler. Die Männer waren in den Wäldern unterwegs und die Frauen sammelten Austern und Muscheln an der Küste. Das war lange vor der Ankunft des weißen Mannes und die Menschen lebten weitgehend friedlich mit den benachbarten Stämmen zusammen. Die meisten Menschen im Dorf waren glücklich
Weitere Kostenlose Bücher