Dark Inside (German Edition)
geweckt?
»Ist was?«, fragte er.
»Er ist weg.«
»Wer? Paul? Wo ist er?«
»Weg. Er hat mich verlassen. Uns.«
Mason zerrte an den Decken, die sich um seine Beine gewickelt hatten. Sie klebten an seinem Körper und wollten ihn einfach nicht loslassen. Schließlich konnte er sich befreien und ging zum Fenster, wo Chickadee die Tränen über das Gesicht liefen.
»Er kann nicht weg sein«, sagte Mason. »Vielleicht holt er nur was zu essen.«
»Wir haben was zu essen.«
»Hast du schon draußen nachgesehen?«
»Er ist nicht da.«
»Warum sollte er so etwas tun? Ich kenne Paul nicht so gut wie du, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach so abhaut. Er hat dich doch gern.«
»Das ist ja das Problem.« Chickadee riss ihren Blick vom Fenster los. Sie streckte den Arm aus und nahm Masons Hand. »Er hat mich zu gern, um mich sterben zu sehen. Wie in der Geschichte.«
Ihre Finger waren weich und leicht feucht von den Tränen. Mason wusste nicht, was sie jetzt von ihm erwartete. Sie suchte Trost, doch es gab keine Worte, mit denen er es ihr hätte leichter machen können. Der Ausdruck in ihren Augen schien die Antwort auf eine Frage zu sein, die er nicht stellen wollte. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr.
»Stirbst du?« Die Worte hingen in der Luft wie ein schlechter Geruch.
»Irgendwann sterben wir alle.«
»Aber bist du krank? Verschweigst du mir etwas?«
»Ich bin nicht krank.«
»Okay.«
Auf dem Tisch stand eine Dose lauwarme Pepsi. Chickadee griff danach und trank einen großen Schluck.
»Ich habe solchen Durst«, sagte sie. »Ich glaube, in den letzten Tagen habe ich sämtliche Flüssigkeit aus meinem Körper herausgeweint. Wenn das so weitergeht, sehe ich bald aus wie eine verschrumpelte Mandarine.« Sie drückte seine Hand und zog ihn zu sich, bis ihre Nasen sich fast berührten. »Mason, bitte verlass mich nicht. Ich glaube, ich könnte es nicht ertragen, wenn du gehst.«
»Ich gehe nirgendwohin.«
»Versprich es mir.«
»Ich verspreche es.«
Ihre Lippen streiften die seinen, es war wie ein kleiner Kuss. Es geschah so schnell, dass er sich nicht sicher war, ob es tatsächlich passiert war oder ob er es sich nur einbildete. Er zog sie an sich, nahm sie in die Arme und versuchte, ihr ein Gefühl der Sicherheit zu geben.
Minuten verstrichen und seine Arme verkrampften sich langsam, aber er ließ nicht los. Die Vorderseite seines Hemdes wurde unangenehm nass, doch er bemerkte es kaum. Er hielt sie einfach in seinen Armen und hoffte, dass es sie tröstete. Schließlich löste sie sich aus seiner Umarmung.
»Soll ich nach ihm suchen?«, fragte er.
Sie zog die Nase hoch und schüttelte den Kopf.
»Und was machen wir jetzt?«
»Wir gehen weiter.«
Mason nickte. Es schien die richtige Entscheidung zu sein.
ARIES
»Daniel?«
Der Junge auf dem Boden krümmte sich zusammen, doch seine Augen blieben geschlossen. Aries ging um ihn herum und versuchte, mehr von seinem Gesicht zu sehen. Daniels Augenlider zuckten, doch er wachte nicht auf.
Hinter sich hörte sie jemanden. Nathan rief leise ihren Namen. Von der anderen Seite des Supermarkts drang das Licht von Taschenlampen zu ihr.
»Ich bin hier drüben«, sagte sie halb flüsternd, halb laut.
Aries wandte sich wieder Daniel zu, der vor ihr auf dem Boden lag. Sie konnte nicht glauben, dass er es war. Sie hatte unzählige Stunden damit verbracht, über ihre kurzen Gespräche nachzugrübeln, hatte in Gedanken immer wieder seine Worte wiederholt, wie eine kaputte Schallplatte. Sie hatte gedacht, sie würde ihn nie wiedersehen.
Doch jetzt war er wieder da.
Nur ein glücklicher Zufall?
Auf seiner Stirn war eine tiefe Schnittwunde. Sie blutete nicht mehr, doch an den Stellen, an denen das Blut bereits eingetrocknet war, waren seine Haare ganz verkrustet. Die gelben Fliesen waren mit Blut verschmiert. Sein Gesicht war bleich, mit Ausnahme eines Blutergusses auf seinem Wangenknochen.
Sie hob die Taschenlampe auf, die er in der Hand gehalten hatte. Sie war klein und blau. Es war die Taschenlampe, die sie ihm gegeben hatte. Er hatte sie behalten. Bedeutete das, dass er auch an sie dachte? Sie waren in einem Geschäft, in dem es jede Menge besserer Taschenlampen gab – warum hatte er die hier noch?
Sie lächelte, obwohl sie wusste, dass es vielleicht gar nichts zu bedeuten hatte. Und doch könnte es ein Zeichen sein. Ein gutes.
Die schwarze Jacke, die er trug, sah nicht besonders warm aus. Am Ärmel war ein Riss. Aus der Tasche lugte etwas
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