Dark Kiss
verkneifen.
„Gern geschehen.“
Seine Miene wurde hart, und er ließ mich plötzlich los.
„Sonderbar. Für einen Moment dachte ich, du …“ Seine dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen, bis er schließlich den Kopf schüttelte.
„Was hast du gedacht?“
„Etwas Übles. Aber es ist alles okay.“ Er blickte hinüber zu dem Jungen vor der Mülltonne, bevor er mich wieder ansah.
„Du musst gehen, Samantha.“
Ich hielt die Luft an. „Was?“
Widerstrebend trat Bishop einen Schritt zurück, als würde er sich zwingen, auf Abstand zu mir zu gehen. „Ich muss allein mit ihm sprechen.“
„Aber …“
„Verschwinde einfach. Und vergiss, dass du mich je getroffen hast.“
Ich fühlte mich wie nach einem Schlag in den Magen und brauchte einen Augenblick, um wieder Luft zu bekommen. Ein kalter Regentropfen traf mein Gesicht. Bishop wollte, dass ich ihn vergaß, dabei hatte ich angenommen, wir hätten …
Wir hätten was? Eine Verbindung zueinander, weil der gut aussehende, aber verrückte Typ mich wunderschön fand? Weil er gesagt hatte, dass ich etwas Besonderes sei? Mein zweiter Bienenstich in dieser Woche schmerzte höllisch.
„Na toll.“ Mein Brustkorb tat weh. „Dann halt mal deinen Freund auf, ehe er noch eine tote Ratte findet, an der er knabbern kann.“
In Bishops Augen lag ein Funken Bedauern – aber vielleicht war das auch nur Wunschdenken. Er hatte von mir bekommen, was er brauchte, und jetzt erteilte er mir eine Abfuhr. „Bye, Samantha.“
„Schön.“ Ich schluckte schwer, dann wandte ich mich um und ging. Mich nicht noch einmal nach ihm umzudrehen war nicht ganz leicht.
Kaum hatte ich die Gasse verlassen, verlangsamte sich mein Schritt.
Ob er einer der vermissten Jugendlichen von den Suchmeldungen auf Milchtüten war? Brauchte er professionelle Hilfe wegen seines geistigen Zustands? Und wer war der Junge in der Gasse, zu dem der Lichtstrahl Bishop geführt hatte? Ich konnte jetzt nicht einfach abhauen und das alles vergessen, ohne dass er mir auch nur eine dieser Fragen beantwortet hatte. Selbst wenn er mich nicht bei sich haben wollte, musste ich herauskriegen, was los war.
Ohne den eiskalten Regen zu beachten, lief ich zurück zur Gasse und lugte um die Ecke. Die beiden Jungs standen nah genug, dass ich sie verstehen konnte.
Der Müll-Junge hatte Bishop gerade bemerkt und hörte auf, an dem halben Burger herumzukauen. Die Reste ließ er auf den Boden fallen. „Wer bist du?“
Bishop antwortete nicht sofort, sondern räusperte sich zunächst. „Du kennst mich nicht?“
„Sollte ich das?“
„Mein Name ist Bishop“, sagte er ruhig. „Ich bin hier, um dir zu helfen.“
Der Junge sah Bishop misstrauisch an. „Wie willst du mir helfen?“
„Kannst du dich erinnern, wer du bist? Erinnerst du dich überhaupt an irgendwas?“
Der Junge fuhr sich durch sein regenfeuchtes dunkelblondes Haar und wirkte verunsichert. „Ich bin vor drei Tagen nördlich von hier in einem Park aufgewacht und habe keine Ahnung, wie ich dahin gelangt bin.“
„Ich schon.“
Erleichterung spiegelte sich im Gesicht des Jungen. „Ja? Und du kannst mir helfen?“
Kurzes Zögern. „Das ist mein Job. Komm näher.“ Bishops Stimme klang jetzt fester. Kein wirres Zeug oder unzusammenhängende Gedankenfetzen mehr. Er hatte breite Schultern und stand aufrecht mit dem Rücken zu mir.
Der Junge trat vom Müllcontainer weg und stellte sich vor Bishop. Sie waren etwa gleich groß und von ähnlicher Statur.
„Zeig mir deinen Rücken“, befahl Bishop.
„Meinen Rücken?“
„Bitte, es dauert nur einen Moment. Ich darf keinen Fehler machen, auch wenn ich mir ganz sicher bin, wer du bist.“ Der blonde Junge schien verwirrt, drehte sich jedoch um und schob sein Shirt hoch. Es war jetzt vollkommen dunkel. Das einzige Licht spendete eine einzelne Sicherheitslampe an der grauen Steinmauer, dennoch konnte ich genug sehen, auch trotz des Regens. An beiden Seiten der Wirbelsäule des Jungen befanden sich tätowierte Flügel, die bis zu seinem Hosenbund hinunterreichten. Ich kniff die Augen angestrengt zusammen und konnte erkennen, dass die Flügel schwarz umrandet und schattiert waren.
Bei etlichen waren solche Flügeltattoos total angesagt – vorallem beim Footballteam der McCarthy High, den Ravens. Aber die trugen es normalerweise auf dem Arm.
Mein gesunder Menschenverstand redete mir ein, dass diese Flügel nur eine übergroße Version des Ravens-Tattoos war. Allerdings waren sie nicht fedrig
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