Dark Kiss
Probier’s einfach mal und triff dich mit ihm.“
Carly runzelte die Stirn. „Paul? Paul McKee?“
„Ja, genau.“ Er war ein Kumpel von uns, mit dem wir in der Cafeteria oft zusammen Mittag aßen. Man musste schon ziemlich blind sein, um nicht zu bemerken, wie er Carly ansah. Ihr schien das aber dennoch entgangen zu sein, weil sie meistens irgendwo anders hinstarrte.
Ich schaute mich im Crave um. Es war nicht annähernd so voll wie am Freitag. An Schultagen wurde der Laden zu einem Restaurant, das mit etwas coolerem Licht und Musik nur nebenbei als Club genutzt wurde. Die Tanzfläche lag verlassen da, und geschlossen wurde schon um elf statt um eins. Der Duft von Chicken Wings, Pommes und Zwiebelringen erfüllte die Luft. Nicht gerade gesund, aber definitiv köstlich.
Und noch etwas anderes roch hier köstlich, doch ich konnte nicht genau sagen, was es war. Seelen, flüsterte meine innere Stimme. Du riechst die Seelen all der Menschen um dich herum.
Der Gedanke widerte mich an. Hoffentlich kam mir niemand so nahe wie Colin am Morgen. Das hatte mich anscheinend animiert.
„Da haben wir ja unseren Loverboy“, verkündete Carly und riss mich aus meiner Benommenheit. „Du hattest recht, er ist jeden Abend hier.“
Er sah wie immer großartig aus, als er sich in seiner schwarzen Jeans und in dem teils aufgeknöpften weißen Hemd am Rand der Tanzfläche entlang in Richtung der Wendeltreppe zur Lounge bewegte. „Okay, ich schaffe das“, sagte ich lautund versuchte meine inneren Kräfte zu mobilisieren.
„Willst du mit ihm reden?“, fragte Carly. „Oder brichst du ihm nur die Nase?“
Ausgezeichnete Frage. Irgendetwas hatte er mit mir angestellt. Vorher hatte er mich sogar gewarnt. Er hatte mir diesen Hunger verpasst, den ich nicht wieder loswurde, außerdem dieses Verlangen, das mich jede Sekunde quälte, und diese Kälte, die mich den ganzen Tag erfüllte.
Ich war bereit, Stephen gegenüberzutreten.
Etwas Böses nähert sich hier.
Diesmal meinte ich mich selbst.
„Warte hier“, bat ich Carly. „Bitte.“
„Sicher, dass du mich nicht zur Unterstützung dabeihaben willst?“
„Ja“, erwiderte ich. Stephen zu küssen hatte beinahe dazu geführt, dass ich getötet wurde. Ich wollte Carly nicht in so was verwickeln. Es war schlimm genug, dass sie mich heute Abend begleitet hatte.
Sie nickte. „Viel Glück. Mach ihm die Hölle heiß.“ Ich verzog das Gesicht.
Er wird dein Leben für immer verändern, also musst du ihn auch wollen.
Ich fragte mich, ob Stephen das zu allen Mädchen sagte. Doch jetzt wollte ich keinen Kuss – heute wollte ich Antworten.
Stephen saß in einem purpurfarbenen Sessel in einer Ecke der Lounge im ersten Stock. Er beobachtete, wie ich mich ihm langsam näherte, und schien nicht im Mindesten überrascht, mich zu sehen.
„Samantha Day“, begrüßte er mich. „Wie geht es dir heute Abend?“
Mein Mund war trocken. Sehr trocken. Ich versuchte, meine Nervosität zu ignorieren. „Ich muss mit dir reden.“
„Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Wie geht es dir?“
„Nicht gut“, gab ich zu.
„Tut mir leid, das zu hören.“ „Ach ja?“
„Natürlich.“ Er schenkte mir ein charmantes Lächeln. Ich konnte mich nicht davon abhalten, es zu erwidern. Stephen war niedlich, das hatte sich nicht geändert, seit er wahrscheinlich mein Leben zerstört hatte. Er deutete auf den Stuhl neben sich.
„Bitte setz dich.“ Ich schluckte schwer und wollte widerstehen, doch ich entschied mich, seiner Aufforderung zu folgen. Während ich Platz nahm, schaute ich mich in der Lounge um.
Es war ungefähr ein halbes Dutzend Teens in diesem Bereich verstreut. Einige lasen Bücher, als sei das hier eine Bibliothek, und andere unterhielten sich. Ich kannte keinen von ihnen.
Mich überfielen Zweifel, sowie ich Stephen wieder ansah. Plötzlich fühlte ich mich sehr, sehr jung und unsicher. „Du bist abgehauen, nachdem du mich geküsst hast“, sagte ich und kam mir gleich darauf albern vor. Wie ein sitzen gelassener Teenager, der den ganzen Tag Herzchen in die Bücher malte und Tagträumen über Jungs nachhing. Wo war mein Vorsatz geblieben, knallharte Fragen zu stellen?
„Es tut mir leid“, wiederholte er. „Wirklich.“
Seine Antwort überraschte mich. „Ist das so?“
„Ich musste mich“, er kniff die Augen zusammen, „um etwas Wichtiges kümmern. Und es konnte keinen Moment länger warten, sonst wäre es zu spät gewesen.“
Skeptisch betrachtete ich ihn.
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