Dark Kiss
nicht selbst nach Hause bringen?“
„Ich muss mit den anderen reden und versuchen, der Anführer zu sein, als der ich hergeschickt wurde. Kraven wird dich sicher daheim abliefern.“
Kraven schnaubte. „Bist du dir da so sicher?“
Bishop wirkte nicht im Geringsten amüsiert. „Du wirst ihr nichts tun.“
„Wenn ich es doch mache, dann muss ich mich vor dir verantworten, stimmt’s?“
„Dafür würde nicht genug Zeit bleiben. Wenn ich dich noch mal mit meinem Dolch ersteche, bist du tot, und zwar für immer. Daran solltest du denken.“ Jedes Wort, das er sprach, war pures Gift. „Wirst du Samantha also sicher nach Hausebringen oder nicht?“
Kravens Dauergrinsen wurde etwas schwächer. „Zu Befehl, Boss.“ Er wandte sich an mich. „Los geht’s, Gray-Mädchen.“
Auch wenn ich keine Angst mehr vor Kraven hatte – die ich vielleicht haben sollte –, war ich von ihm als Beschützer nicht gerade begeistert. Aber ich wollte unbedingt nach Hause, und ich verstand, dass Bishop als Anführer die beiden Neuen ins Team einführen musste.
„Zur Schule gehen und normal sein. Das sollte ich deiner Meinung nach tun?“, meinte ich zu Bishop.
Er nickte. „Ich werde mich bald bei dir melden.“ „Ich verlass mich darauf.“
Ich drückte noch einmal Bishops Hand und ließ ihn dann los. Es brauchte einen Moment, bis ich meinen Blick von ihm lösen konnte. Er sah angespannt aus, und ich wusste, dass wir einander noch unendlich viel zu sagen hatten. Nachdem ich ihn losgelassen hatte, überkam mich wieder die Kälte. Ich lächelte Zach schwach zu und sah noch nicht einmal in Roths Richtung, denn ich konnte seinen feindlichen Blick auch so spüren. Dann machte ich mich auf den Weg. Kraven folgte mir schweigend mit etwas Abstand, so als wollte er nicht mit mir in Verbindung gebracht werden.
Stark zu bleiben war jetzt noch schwerer als zuvor. Roth hatte mich beinahe getötet, und ich war mit solchen Situationen voller Gewalt nicht vertraut. Auch als sich meine Eltern ständig stritten, geschah das ausschließlich verbal, und sie bemühten sich, es größtenteils von mir fernzuhalten. Das hatte nicht immer funktioniert, und so war ich es gewohnt, dass Worte als Waffen benutzt wurden. Ich kompensierte meinen Familienstress mit schwarzem Humor und später mit Ladendiebstahl. Ich war nicht gut darin, meinen Schmerz zu verbergen – irgendwann suchte er sich immer einen Weg nach draußen. Heute spürte ich, wie sich Tränen in mir sammelten,und ein Schluchzen baute sich in meiner Brust auf.
„Bist du okay?“, fragte Kraven.
Ich nickte nur und ging weiter. „Wie weit noch?“
Ich blickte über meine Schulter. „Noch etwa zehn Minuten.“
Wir liefen weiter, und schließlich sprach er wieder. „Du kannst es mir erzählen, weißt du.“
„Was?“
„Was du wirklich bist. Du kannst mir die Wahrheit sagen.“ Er holte mich ein, trottete neben mir her und sah mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Verwirrung, Neugierde und auch Wut lagen darin – jedoch nicht auf mich. Vielleicht ärgerte er sich über sich selbst, weil er meine Geheimnisse nicht alle entschlüsseln konnte.
Ich schüttelte den Kopf. „Mir ist klar, dass du glaubst, ich würde etwas verbergen, aber ich habe keine Ahnung, was los ist. Im Ernst.“
„Du hast Macht über uns, und ich habe keine Ahnung, warum. Das macht mir Sorgen.“
Da waren wir schon zwei. Ich wünsche, ich hätte einen Schimmer, wieso ich so anders war. So besonders. Es würde helfen. „Ich weiß nicht, was ich dir erzählen soll. Ich war vorher so normal, dass mich niemand wirklich beachtet hat, und jetzt bin ich es nicht mehr.“
„Du bringst den Engel wieder zu Verstand, wenn du ihn berührst, du kannst die Lichtsäulen sehen, mit denen man uns aufspüren kann, falls wir verloren gehen, du kannst deinen Gray-Hunger so gut beherrschen, dass du ihm noch nicht nachgeben musstest, du kannst uns elektrische Schläge versetzen – und dann die Sache mit dem Gedankenlesen. Ich verstehe es nicht, doch dafür muss es einen Grund geben. Und den werde ich herauskriegen.“
„Soll das eine Drohung sein?“, fragte ich und fixierte ihn mit meinem Blick.
Kühl sah er mich an. „Eher ein Versprechen. Diese Mission ist zu wichtig, um sie zu gefährden.“
„Oh ja, ich bin mir sicher, du kannst es kaum erwarten, hier rauszukommen – wie Bishop. Aber ich sabotiere gar nichts. Nur für den Fall, dass du geschlafen hast und es dir nicht aufgefallen ist: Ich habe euch
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