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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Habel
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was auch immer er vorhatte.
    Er küsste mein satinverhülltes Handgelenk, direkt über dem Knopf, der den Handschuh verschloss, und ließ mich dann los.
    In diesem Moment fand ich ihn schön. Vollkommen und ohne Makel. Sein Kuss war so aufrichtig gewesen. Die Art, wie er dort stand, wie er in sich ruhte, übte in seinem schlichten Sein eine unwiderstehliche Anziehung auf mich aus. Er war , obwohl er nicht sein dürfte.
    »Ich träume ständig vom Tod meines Vaters«, sagte ich, etwas atemlos von dem, was er gerade getan hatte. »Ich habe ihn gesehen. Es wäre grausam gewesen, den Blick abzuwenden. Er hatte ja auch meine Geburt und all meinen Schmerz gesehen. Und ich weiß, wie es ist, Gedanken zu haben, die man nicht kontrollieren kann. Kurz bevor ich hierhergekommen bin, hat meine Tante mir gezeigt, wie schlecht sie mein Vermögen verwaltet hat. Sie hat mich ruiniert. Ich war so, so furchtbar wütend und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Aber ich habe nichts Schreckliches getan. Und das werde ich auch nicht. Das ist der Unterschied. Aber du musst dasselbe jeden Tag unzählige Male tun. Du bist so stark, Bram, und das bewundere ich an dir.«
    Wieder streckte er die Hand nach mir aus und ich sehnte mich nach seiner Berührung. Er strich über meine Wange. Seine Finger waren so kühl und trocken wie immer und ich fand das Gefühl merkwürdig verlockend. »Ich wäre nicht einmal mehr lange für dich da. Ich würde vor deinen Augen verrotten.«
    Ich zuckte zusammen. Wie konnte seine Berührung so sanft sein, wenn er sie mir doch gleichzeitig verwehren wollte? »Wie lange kann sich irgendjemand denn jemals eines anderen sicher sein? Ich hatte meine Mutter neun Jahre lang und meinen Vater fünfzehn. Es gibt im Leben keine Garantien.«
    Bram wandte sich ab, ging zum Steuerrad des Schiffes hinüber und stützte sich seufzend darauf ab. Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Himmel zu. Auch ich sah hinauf und bat stumm um Rat von dort oben. Diese ganze Situation war zum Verzweifeln.
    Dann fiel ich vor Verblüffung beinahe um.
    »Oh, schau dir nur die Sterne an!« Noch nie in meinem Leben hatte ich solch einen Sternenhimmel gesehen. Er sah aus wie mein paillettenverzierter schwarzer Handschuh.
    Brams Stimme klang wieder voll, aber leise. »Das erzählen sie uns immer wieder über euch Viktorianer: dass eure Städte so hell sind, dass ihr die Sterne nicht mehr sehen könnt. Dass die Viks ihren Kindern sogar etwas so Einfaches versagen.«
    Ich widersprach ihm. »Man kann schon welche sehen. Nicht alle, aber ein paar. Die hellsten. Und dort, wo ich wohne, projizieren wir sie auf einen riesigen Bildschirm über der Stadt, damit sogar diejenigen von uns, die unter der Erde wohnen, nicht darauf verzichten müssen.«
    »Aber sie sind nicht wirklich.« Er richtete sich wieder auf und kam zu mir herüber. »Das fand ich wirklich unheimlich, als wir gekommen sind, um dich zu holen. All diese Bäume und der Himmel, und nichts davon war echt.«
    Ich fühlte, wie mir das Blut in den Kopf schoss, und ich öffnete den Mund, um es ihm mit einer Entgegnung wie: Und wie viele Menschenopferungen hast du schon besucht? heimzuzahlen, als mir plötzlich die Absurdität der Situation bewusst wurde. Das war einer dieser Momente, in denen die Dinge im eigenen, mikroskopisch kleinen Teil des Universums plötzlich einen Sinn ergeben. Ich fühlte mich vollkommen im Einklang mit der Welt und sogar ein bisschen selbstzufrieden.
    »Du hast recht«, lachte ich. »Mein ganzes Leben lang wurde ich darauf trainiert, natürliche Dinge in unnatürlicher Form zu sehen.«
    Bram sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Vermutlich eine Retourkutsche dafür, wie ich ihn bei unserem ersten Treffen angestarrt hatte. »Worüber lachst du?«
    »Über das hier!« Übermütig wirbelte ich herum. »Das alles hier! Verstehst du …« Ich hielt inne, während mein Rock noch weiter hin- und herschwang, und beugte mich zu ihm. »Wir wären uns niemals begegnet, wenn du kein Zombie geworden wärst. Du bist ein Punk, ich bin Viktorianerin. Aber hier sind wir, im Tode vereint.«
    Bram legte die Hände auf meine Schultern und sah mich an. Ich wollte, dass er mich küsste. Natürlich würde ich ihm niemals einen richtigen Kuss geben, niemals, aber ich wollte, dass er es versuchte, dass er mir zeigte, dass er es auch wollte. Ich brauchte eine Bestätigung, dass ich mich hier nicht komplett zur Idiotin machte.
    Er schob mich von sich weg. »Nora …«
    Ich hätte gedacht,

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