Dark Love
Doc Sam vor und lasse ihn den Lazarus-Einführungskurs halten. Hier entlang, Nora.«
»Wagen Sie es ja nicht, Bram! Sie ist noch nicht bereit – hey, warten Sie.«
Der Korridor war diesmal wie ausgestorben. Ich vermutete, dass irgendjemand, vielleicht Samedi selbst, alle zurück an ihre Arbeit geschickt hatte. Als wir auf der rechten Seite eine Tür erreichten, öffnete ich sie für Nora. Sie musterte mich prüfend, schlüpfte dann aber schnell hindurch. Ich folgte ihr, ohne mich um Dick zu kümmern, der Schwierigkeiten hatte, das schwere Ding für sich selbst aufzubekommen.
»Und jetzt«, raunte ich Nora zu, »mach dich bereit für eine echte Gruselshow.«
»Das wäre dann ungefähr die zwanzigste heute«, flüsterte sie zurück.
Das Labor, das wir betreten hatten, war genauso aufgebaut wie das von Dr. Dearly, drei Räume, die durch Türen verbunden waren. Allerdings waren diese Labortüren im Gegensatz zu Dr. Dearlys verstärkt und mit elektronischen Schlössern gesichert. Etwa fünf bis sechs Leute arbeiteten zurzeit an unterschiedlichen Projekten, aber sie alle unterbrachen ihr Tun, als sie sahen, wer soeben hereingekommen war.
Eine von ihnen kam rasch zu uns herüber und schob sich im Gehen die Brille zurecht. Dr. Beryl Chase war eine Frau in den Dreißigern mit üppiger Figur, rotblondem Haar und Augen von der Farbe grüner Äpfel. Sie trug unter ihrem weißen Laborkittel einen Humpelrock und eine Bluse mit Stehkragen. »Oh, Miss Dearly, wie ich mich freue, Sie zu sehen!« Sie blickte an Noras Kleid hinab und lachte. »Nun ja, ich bezweifle zwar, dass Sie noch hineinwachsen, aber es wird schon gehen. Sie haben einen … kühnen Modegeschmack.«
Nora begriff, wen sie vor sich hatte, bevor ich auch nur den Mund öffnen konnte, um sie vorzustellen. »Dann sind Sie also Dr. Chase. Sie haben mir den Beutel geschickt.«
Beryl nickte. »Ja, genau die bin ich.«
Nora lächelte ihr zaghaft zu. »Danke.« Sie schien noch etwas sagen zu wollen und fügte schließlich hinzu: »Ich erkenne Ihre Stimme vom Gang gestern wieder – ich wusste nicht, wer Sie sind. Es tut mir leid, dass ich Sie angeschrien habe. Und das andere Kleid werde ich nicht zerschneiden. Ich zahle es Ihnen zurück.«
Beryl machte eine wegwerfende Handbewegung. »Machen Sie sich keine Gedanken. Manchmal muss ein Mädchen einfach mal richtig schreien.«
»Oh, welch Weisheit doch in diesen wenigen Worten liegt«, erklang die volltönende Stimme Dr. Samedis.
Nora sah in Richtung der Stimme.
Ich wappnete mich.
Mit einem Satz war Nora hinter mir. »OmeinGottomeinGottomeinGott«, stieß sie keuchend hervor, während ihre Hände sich in meine Taille gruben.
Ich erstarrte. Das hatte ich nicht erwartet.
Dr. Samedi kam auf uns zu – ein adrett gekleideter Körper ohne Kopf. Um seinen Hals, über dem weißen Kläppchenkragen und der blauen Krawatte, lag ein dicker Stahlring, der mit mehreren Rundkopfschrauben gespickt war.
»Ist schon gut, Miss Dearly.« Beryl funkelte den Körper, der mitten in der Bewegung innehielt, böse an. »Baldwin, setz gefälligst deinen Kopf auf. Du machst ihr Angst!«
»Nora«, sagte ich sanft, »schau dir das an. Es ist krass, ich weiß, aber es wird dir gefallen, da wette ich drauf. Und lass mich los, bevor du mich noch kaputtmachst!«
Nora atmete zitternd ein und lugte um mich herum. Ihre Finger lösten sich langsam von meinem Rücken.
Samedi seufzte. »Schon gut, schon gut.« Er kehrte zu dem Arbeitsplatz zurück, von dem er gekommen war. Dort hing sein Kopf an einem spinnenartigen Messinggerüst. Er war so positioniert, dass er sein jeweiliges Projekt im Auge behalten konnte. Vorsichtig nahm er ihn in die Hand, und mit nur wenigen Justierungsproblemen und ein paar anschließenden Klicklauten befestigte er ihn wieder auf seinem Hals. Dann nahm er seine Schutzbrille ab und zwinkerte ein paar Mal heftig. Bei seinem Tod war er ein Mann in den Dreißigern gewesen, mit welligem kastanienbraunem Haar und ausdrucksstarken, beinahe feminin wirkenden Augen. Jetzt war seine Haut grau und mehrere Stiche und Heftklammern zierten seine Stirn und seine linke Wange, wo er einen tiefen Schnitt abbekommen hatte. Sein linkes Ohr fehlte.
»Na also«, sagte er und drehte den Kopf ein paar Mal hin und her. »Ist es so besser, Beryl?«
»Viel besser. Sehen Sie, Miss Dearly, es ist alles in Ordnung.«
Nora starrte den Doktor mit großen Augen an. »Ich will nach Hause«, flüsterte sie mir zu. »Vergiss alles, was
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