DARK MISSION - Fegefeuer
bitte, wo bin ich? Und wo ist Silas?«
Die Frau blickte Jessie fröhlich an. »Der junge Mann in deiner Begleitung?« Jetzt grinste sie und erhob sich von der Bettkante. »Keine Sorge, meine Kleine! Die letzten Stunden über ist er immer wieder hereingekommen und hat nachgeschaut, ob ich dir nicht das Herz herausgeschnitten habe und es gerade über dem Feuer röste.«
Jessie schnaubte. »Ach, und war die Sorge berechtigt?«
»Aus seinem Blickwinkel? Scheint so.«
Jessie konnte nicht anders: Ein reuiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ja, klingt ganz nach ihm«, gab sie zu. Entspannter jetzt ließ sie sich in den Kissenberg in ihrem Rücken zurücksinken und seufzte erleichtert. »Tut mir leid.«
»Muss es nicht«, erwiderte die Frau, ohne zu zögern. »Er ist ein guter Aufpasser und ein hübsch anzusehender Mann. Ich bin übrigens Matilda.« Als sie sich mit fliegendem Zopf umwandte, weg vom Bett, betrachtete Jessie sich ihre Samariterin erstmals genauer.
Matilda war schmal und dünn wie eine Gerte und ihre Bewegungen grazil. Sie trug weite Leinenhosen und eine zeitlos wirkende Tunika. Zeitlos und elegant, so wirkte Matildas Stil auf Jessie. Das traf es genau und stimmte auch für alles andere, womit sie sich in dem kleinen Haus umgab.
Jessies Blick wanderte über Schnickschnack und Nippes, manchesdavon Gerümpel, das meiste aber echte Antiquitäten, über Regale und verschnörkelte Haken. So wie Matildas Schätze hier standen, an der Wand lehnten, sich stapelten, bildete sich ein unordentlich wirkendes Ensemble, eine seltsam stimmige Mischung aus Kunst und Ungekünsteltem. Neben einer Keramikschüssel voll dunkelroter riesiger Blüten lag etwa ein alter, abgegriffener Baseball mit dem verblassenden Autogramm einer längst vergessenen Spielergröße.
Neben der Bronzestatue einer halbnackten Schönen, deren Haar und Kleidung in einer kräftigen Brise um den Körper zu flattern schien, fand sich eine mit Schnitzwerk reich verzierte Truhe, die im hereinfallenden Tageslicht kirschrot leuchtete. Auf dem Deckel der Truhe lag ein altes Holztablett mit herrlich glänzenden farbigen Intarsien. Darauf lagen getrocknete Kräuter, die mit farbigem Garn zu Bündeln geschnürt waren, fein säuberlich aufgereiht.
Nachdenklich ließ Jessie ihren Blick über all diese Hinweise schweifen. Es waren Hinweise, die aus der Vergangenheit stammten, die fast schon vergessen waren, aber tief in ihrem Unterbewusstsein schlummerten. Federn, die die Fenster schmückten, Tintenfässchen und Kristalle, zum Trocknen aufgehängte Kräuter. Jessies Blick wanderte zurück zu Matilda.
Aufmerksam beobachtete die Frau sie, ein halbes Lächeln, das geduldiges Warten signalisierte, auf den Lippen. »Hier, in meinem Zuhause, wird dir kein Leid widerfahren«, erklärte sie sanft und dennoch fest, überzeugt. In Jessies Hinterkopf meldete sich eine leise Stimme, eine schwer zu fassende Erinnerung, zupfte an ihrer Konzentration.
Dann machte es in ihrem Kopf Klick! , viel zu spät, und Jessie schnappte nach Luft. »Du bist eine Hexe!«
»Hmm, mhm-hmm.« Matildas Finger spielten mit dem Saum ihrer Tunika. »Sagt die junge Frau, die selbst eine Hexe ist.« Sie kniff die schokoladenbraunen Augen zusammen, als Jessie die Decken zurückschlug. Da bemerkte Jessie, dass sie nackt war, und zog die Decken rasch hoch bis zum Hals, was Matilda laut auflachen ließ. »Und dazu noch eine nackte Hexe!«
Verlegen errötete Jessie. Was zum Henker war nur los mit ihr? Bei der Arbeit trug sie schließlich Kleidungsstücke, die kaum besser als Fähnchen waren und in denen sie so gut wie nackt war.
Doch Matildas Blick schien bis in ihre Seele schauen zu können, und was sie dort an Geheimnissen entdecken könnte, beunruhigte Jessie. »Verzeihung«, brachte sie schließlich heraus, die Würde in Person, »wo bitte sind meine Anziehsachen?«
Matildas Lächeln wurde breiter. Sie ging auf eine alte Kommode mit vielen Schubladen zu. Die Kommode war eine wunderschöne Handwerksarbeit; herrlich restauriert, und ihr dunkles Mahagoniholz glänzte. Beim Aufziehen machten die Schubladen kaum ein Geräusch. Matilda nahm einen Stapel aus buntem Stoff heraus. »Entspann dich, Liebes!«, sagte sie und fügte hinzu: »Das hier sollte dir passen.« Sie brachte das, was sie aus der Schublade genommen hatte, zu Jessie herüber und breitete Rock und Oberteil auf dem Bett aus, einen hübschen Patchworkrock in Blau- und Grüntönen und ein dünnes cremefarbenes, ärmelloses
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