DARK MISSION - Fegefeuer
Strudel der Gefühle seiner Schwester unterzugehen und den Verstand zu verlieren.
Ein Mann wie er sollte nicht vor eine solche Wahl gestellt werden. Wenn er die ganze Sache bis zum Ende durchziehen wollte, dann musste er auch die letzten Augenblicke ertragen. Er würde wissen, was Jessie fühlte, würde spüren, was sie spürte.
Würde es niemals vergessen.
Caleb packte zu, zerrte mit aller Kraft an dem Band um seinen Hals, bis es mit einem scharfen Laut riss. Sorgsam ließ er es auf den kleinen Haufen zu seinen Füßen fallen. Dort war alles versammelt, was bis zu diesem Augenblick Schutz gegen das gewesen war, was seine Schwester wahrzunehmen vermochte.
Eine ganze Weile starrte Caleb mit finsterem Gesicht auf die zerrissenen, zerschnittenen Bänder und die abgegriffenen Perlen. Er hatte gewählt. Das Leben seiner Schwester war ein flüchtiges Ding, vergänglich, war es nicht so?
Aber ein Zirkel konnte für alle Zeit bestehen. Das durfte nicht geschehen.
Mit einem heftigen, bösen Fluch auf den Lippen holte Caleb imDämmerlicht der Unterstadt mit dem Fuß aus und trat mit aller Kraft gegen das Häufchen dort zu seinen Füßen, tat es mit allem, was an Gefühlen in ihm wohnte. Mit allem, was er anderen niemals zeigen würde.
Mit allen Gefühlen, die er sich sehnlichst nicht zu haben wünschte.
Perlen sprangen und hüpften wie flache Steine über den stillen Teich, sandten kleine, sich kreisförmig ausbreitende Wellen über seine Oberfläche. Die dünnen Bänder berührten das Wasser, schwammen einen Augenblick obenauf, ehe sie sich mit Wasser vollsogen und ihre Farbe verloren.
Caleb bückte sich, um die Papiere aufzusammeln, noch ehe der letzte Faden im Wasser versunken war. Es galt, ein Ritual vorzubereiten.
Eine Hexe zu opfern.
Um zu zögern, war jetzt verflucht keine Zeit mehr.
KAPITEL 22
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ferne Rotorengeräusche einen sich nähernden Hubschrauber ankündigten. Endlich fand die nervtötende Monotonie aus Stille und Wasserrauschen ein Ende. Silas blickte auf, sah aber nur die dunkle Steilwand der Klippen, mehr nicht.
Schwarze, verzerrte, leere Schatten. Genau wie in seinem Kopf. Nichts als qualvolle Leere.
Silas drehte sich um und suchte sich einen Weg über den Felsvorsprung zurück zu Jessie, die immer noch zusammengekauert saß, wo er sie verlassen hatte. Die ganze Zeit über hatte sie nicht ein Wort gesagt. Sie hatte nicht gebettelt, nichts gefragt.
Nicht gelogen.
Aber sie schlief auch nicht. Als sie Silas über sich spürte, öffnete sie die Augen. Die zarte Haut um ihre Augen war gezeichnet von Erschöpfung und Jessies armseligem Versuch, durch Tränen Silas’ Mitleid zu wecken. »Steh auf!«, befahl er.
Er würde sie nicht anfassen.
Sie würde es ihm nicht einfach machen.
Jessie stemmte ihre hinter dem Rücken gefesselten Hände gegen den Fels. Der Lärm der Rotoren kam näher, wurde lauter. Jessie versuchte sich an der Wand hochzustemmen, zuckte plötzlich zusammen und fiel rücklings gegen die Wand und rutschte wieder zu Boden, als ihre Knie unter ihr nachgaben.
Wütend ballte Silas die Fäuste, unterdrückte den Drang, Jessie zu packen und ihr zu helfen.
Ihr, dieser verlogenen Hexe.
»Steh schon auf!«, fauchte er, dieses Mal noch schärfer.
»Ich versuch’s ja!«, fauchte sie zurück. Sie biss die Zähne zusammen, als die ersten Lichter über die Klippenwände huschten. Starke Scheinwerferkegel durchschnitten die Dunkelheit wie Säulen aus Licht, blendeten enorm nach der langen Zeit in der Dunkelheit.
Jessie schrak zusammen, als Silas und sie von einem Scheinwerferkegel erfasst wurden. Der Kegel schwang im Gleichklang mit den Flugbewegungen des Hubschraubers weiter, kehrte dann aber zu ihrer beider Position zurück, um diese als hellen Lichtpunkt aus dem Dunkel zu schneiden.
Im Lichtkegel leuchtete Jessies Haut leichenblass. Ängstlich kniff seine Gefangene die Augen zusammen. Gut. Silas langte hinunter zu ihr und riss sie am Kragen ihrer Jacke hoch auf die Füße.
Blieb verdammt zu lang mit einem groben, blutigen Finger unter ihrem Kinn. Sah ihr beschissen zu lang in die weit aufgerissenen Augen, die ihn dunkel anstarrten.
Ihre Kehle presste ein »Lass mich los!« heraus.
»Nicht in diesem beschissenen Leben, träum weiter!«, knurrte er und packte sie jetzt am Oberarm. Unsanft zog er sie über den Felsvorsprung, sodass sie stolperte. Nur weil er sie am Oberarm gepackt hielt, stürzte sie nicht.
Anstatt nach oben zu schauen, schirmte
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