DARK MISSION - Fegefeuer
dafür verbraucht, den Andreasschild des Missionars zu durchbrechen. Und jetzt lief Caleb die Zeit davon. Er konnte nicht riskieren, noch einmal auf die Jagd zu gehen.
Er war so verdammt nah dran gewesen!
Leider war ihm Jessie in die Quere gekommen. Während Calebs Augen von einer der Seiten zur nächsten huschten, die vom Alter brüchig waren und abgegriffen, wusste er, dass er seine Chance verpasst hatte. Er würde nicht den ersten Zug machen. Er hätte gar nicht die Möglichkeiten dazu. Also würde er warten müssen, bis Curio zu viel investiert hätte, um noch zu zögern.
Das würde Caleb alles abverlangen.
Er hob den Kopf und strich sich das zu lange Haar aus der Stirn. Er saß inmitten einer Szenerie unbeschreiblichen Chaos. Inmitten von Zerstörung. Von längst vergessenen Gespenstern und entzauberten Träumen. Das unstete Licht der Fackeln tanzte als Vielzahl orangeroter Flammenzungen um Caleb herum. Wie unversöhnliche Finger aus Licht zerrten sie am Grabtuch über der verzerrten Form eines Parks, der unter Lagen aus Vernachlässigung begraben lag.
Jessies Auftauchen hatte die ganze Geschichte viel zu sehr beschleunigt. Seine Schwester hatte ihn gezwungen, ihr zuvorzukommen, sich mit den Folgen ihres Eingreifens herumzuschlagen.
Dabei hatte er ihr immer und immer wieder gesagt , sie solle sich von ihm fernhalten.
»Weissager?«
Caleb hatte sie nicht kommen sehen. Während er die verblassenden Worte auf dem Papier zu seinen Füßen angestarrt hatte, hatten sie langsam das Terrain des verfallenen Parks durchquert. Jetzt standen sie schon am Rand des künstlichen Teichs mit seinem schlierigen, abgestandenen Wasser. Wahrscheinlich waren sie nicht sonderlich scharf darauf, herausfinden zu müssen, wie tief das schmutzigtrübe Nass tatsächlich war. Caleb wandte den Kopf zur Seite, gerade weit genug, damit sie sein Profil sahen.
Den harten Zug um seinen Mund.
»Meister«, sagte das Mädchen. Sie war ungefähr fünfzehn. Sie hatte die Hände unter die Achseln geklemmt, um ihre schmutzigen Finger mit der rissigen Haut so warm wie möglich zu halten. »Wir bringen eine Botschaft vom Zirkelmeister. Eine Botschaft für dich«, fügte sie rasch hinzu. »Wenn es jetzt in Ordnung wäre?«
Eine Botschaft. Verfluchte Scheiße! Von Curio. Verflucht, verflucht und nochmals verflucht!
»Ich werde die Vorbereitungen nicht beschleunigen«, erklärte Caleb kategorisch. »Wenn die Botschaft lautet, mich zu beeilen, wird selbst der Zirkelmeister lernen müssen, Geduld zu üben.« Obwohl Caleb sicher war, dass die junge Hexe und der junge Hexer in ihrer Begleitung zu jung waren, zu unfertig und ohne das nötige Können, um mehr als ein paar Zaubertricks für den Hausgebrauch auf dem Kasten zu haben, schlug er mit der Stiefelspitze das Buch zu. Möglichst unauffällig schob er es unter einen Stapel schmutziger Papiere.
Nur für alle Fälle.
»Oh!« Die Augen des Mädchens wurden groß, groß wie Untertassen in ihrem schmalen Gesichtchen. »Oh nein, darum geht es nicht.«
Der Junge neben ihr, schlaksig und ungelenk, dämpfte mit beiden Händen ein Schnauben, ein Kichern. Seine Hände waren genauso dreckig wie die des Mädchens. Das Leben hier in der Unterstadt war hart. Es bedeutete, die Katakomben auf der Suche nach etwas zu durchstöbern, das sich gegen Nahrungsmittel oder einen Platz zum Schlafen eintauschen ließe.
Aber hart war das Leben für Magiebegabte immer schon gewesen.
Calebs Kiefermuskeln arbeiteten. »Dann spuck’s endlich aus!«
»E…e…es ist nur so …« Das Mädchen gestikulierte. »Sie haben einen Ring gelegt … um, ähm … um deine … ähm …«
Caleb würde ihr nicht helfen. Kein Mitleid. Keine verfluchte Schwäche zeigen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass sie ihrem jüngeren Begleiter einen wilden, flehenden Blick zuwarf.
Der aber war viel zu beschäftigt damit, hinter vorgehaltenen Händen zu kichern und zu glucksen, um den Blick zu bemerken.
Caleb streckte sich und stand auf. Langsam, denn er wusste ganz genau, dass sie jede seiner Bewegungen beobachteten. Ganz langsam wandte er sich den beiden Boten zu und bedachte sie mit einem starren Blick, ebenso entschlossen wie geduldig.
Sofort blieb dem Jungen das Kichern im Halse stecken. Seine ganzebisherige Belustigung wurde ihm förmlich aus den Sohlen der abgetragenen Turnschuhe gesaugt und versickerte im Boden. Jung, unerfahren, aber mit Instinkten, die wach genug waren, um eine Bedrohung aus Richtung des toten Teichs wahrzunehmen.
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