DARK MISSION - Fegefeuer
Gestalten geduckt über die Straße rennen.
Noch mehr Hexenjäger. Zum Teufel, wie viele davon gab es denn in New Seattle?
Die Fäuste geballt, ging Jessie rasch ihre Alternativen durch. Sie könnte hierbleiben und sich von den Hexenjägern umbringen lassen. Sie könnte hierbleiben, und sich, wenn die Hexenjäger das Gefecht verlören, vom Zirkel gefangen nehmen lassen. Wahrscheinlich um ebenfalls umgebracht zu werden.
Sie könnte loslaufen, Caleb finden, ihn aus der Scheiße ziehen, in die er sich reingeritten hatte, wenn nötig ihm einen Stein auf den Kopf schlagen, um das zu schaffen, und machen, dass sie beide aus dieser Todesfalle von einer Stadt wieder herauskämen.
Möglichkeit Nummer drei hörte sich recht vielversprechend an.
Mit dem Herzschmerz würde sie schon zu leben lernen.
Jessie hob die gefesselten Hände und wischte sich über den Mund. Befahl ihren Füßen, sich endlich in Bewegung zu setzen.
Lass ihn hier, verdammt!
Aber Jessies Blick folgte Silas. Dem großen Kerl, den sich Silas mit Fäusten und roher Gewalt vom Leib hielt. Dem blauen Saum aus Licht, das unter seinem Ärmelsaum hervorquoll, und den harten Linien, die Schmerz in sein Gesicht grub. Er brüllte etwas, aber Jessie verstand nicht, was.
Aussichtslose Sache, sagte sie sich selbst. Schwerer Ausnahmefehler. Eigentlich hätte sie es wissen müssen, gleich zu Anfang. Aber es hieß eben: leben und lernen.
Mit Betonung auf leben .
Auf dem Absatz wirbelte Jessie herum und landete mit dem Gesicht voran auf dem Boden. Sie war über ein Hindernis gestolpert; ihre Füße hatten sich in etwas Schwerem verfangen. Der Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen, als ihre Knie über spitze Kieselsteine schrammten und ihre Ellenbogen den Sturz abfingen.
Jessie fluchte und rollte sich zur Seite ab.
Und blickte in das maskierte Gesicht eines Jägers, der gegen die Wand gelehnt dasaß.
Jessie unterdrückte einen Schrei.
Tot. Der Mann war tot. »Himmel!«, keuchte sie, als ihr Gehirn das ganze Bild zusammensetzte. Blut verschmierte die Mauer hinter dem Mann, schimmerte nass und schwarz auf seiner Brust. Mit gespreizten Beinen saß der Mann da, die Arme hingen schlaff herab. Fallen gelassen lag eine dieser glänzenden schwarzen Waffen gleich neben der Leiche. Eine Hand umklammerte immer noch das Com-Gerät, als ob er noch versucht hätte, Hilfe herbeizuholen.
Vielleicht hatte der Jäger es sogar geschafft. Vielleicht waren deshalb gerade eben drei weitere Jäger aufgetaucht.
Das scharfe, laute Staccato von Schusssalven setzte einen Augenblick lang aus. Ein Mädchen schrie, ein schriller Schrei. Ein Entsetzensschrei.
Jessie wand dem Toten das Com aus den Fingern, schnappte sich die Waffe und nahm die Beine in die Hand. Geduckt hastete sie weiter. Die Nackenhaare stellten sich ihr auf, und sie hoffte, niemand zielte gerade mit dem Lauf einer dieser schlanken Waffen auf ihren Rücken.
Den Finger am Abzug.
Das Blut schoss Jessie in den Kopf, machte sie ganz benommen vor Adrenalin und Angst. Sie rannte um ihr Leben. Während ihrer Flucht durch die Dunkelheit fluchte sie jedes lästerliche Wort, das sie kannte, und dazu die, die sie gerade erst von Silas gelernt hatte.
Sie rannte um die nächste Straßenecke, war außer Sichtweite aller, die sich auf dem heruntergekommenen Parkplatz ein Gefecht lieferten. Für eine Sekunde etwa durchflutete Erleichterung Jessie.
Nur um in schiere Panik umzuschlagen, als sich zwei Männer genau vor ihr erhoben, die bisher geduldig dagehockt und gewartet hatten. Jessie kam schlitternd zum Stehen. Einen Moment lang waren die beiden ebenso überrascht wie Jessie.
Hexer? Jäger?
»Sie ist es tatsächlich!«, sagte der Jüngere von beiden.
Jessie wirbelte herum, war drei ausgreifende Schritte weit gerannt, als etwas Unbarmherziges und Ungezähmtes, etwas Magisches gegenihre Kniekehlen peitschte. Sie stolperte, fiel, umfangen von Magie. Als Jessie das zweite Mal an diesem Abend mit den Knien auf dem Pflaster aufschlug, schrie sie auf, aus Schmerz, wegen des Schocks und voll blindem Zorn.
»Scheiße aber auch!« Die Stimme hinter ihr klang geradezu vergnügt. Der Jüngere der beiden Hexer. »Keine Bewegung, Miss Leigh! Wir möchten Sie nicht verletzen müssen!«
Jessie holte tief Luft und stieß zittrig den Atem wieder aus. »Ich habe eine Waffe«, warnte sie laut. »Ich ziele damit genau auf mein Herz.«
Immer noch hörte sie Schritte hinter sich. Rasch, ihre Finger bebten, schob sie das Com auf und gab auf dem
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