Dark one 06 - Ein Vampir kommt selten allein-neu-ok-08.12.11
Aber, Pia, der alte Matrose ist noch da draußen“,
entgegnete sie besorgt.
„Wenn ich ihn sehe, schicke ich ihn her. Und jetzt machen
Sie nicht so ein bedrücktes Gesicht“, sagte ich, schwang meine Beine aus dem
Fenster und sprang in das darunterliegende Blumenbeet. „Ich glaube, unser Schicksal
wird sich jetzt wenden.“
Das schien sie zu beruhigen. Sie winkte mir lächelnd zu, als
ich die Straße hinunterschaute und leise zu mir sagte: „Ich hoffe nur, zum
Guten.“
In Dalkafjordhur war auch zur Abendstunde noch überraschend
viel los. Ich wusste nicht, ob es an den weißen Nächten lag oder ganz normal
für diese Stadt war, aber es waren unheimlich viele Leute unterwegs. Zum Glück
wusste ich, wo meine Reisegruppe zu finden war: An diesem Abend stand ein Essen
in einem Wikinger-Langhaus auf dem Programm, inklusive Lesung aus den Werken
altnordischer Dichter und Aufführung von Szenen aus historischen Sagas.
Ich hatte keine Mühe, das nachgebaute Langhaus zu finden,
denn es war ein beliebtes Touristenziel in der Nähe des Parks. Es war auch
nicht schwer, durch die Hintertür hineinzugelangen, bei der es sich vermutlich
um den Personaleingang handelte. Doch als ich vorsichtig hinter dem
Bühnenvorhang hervorschaute, sah ich mich einer Menge Probleme gegenüber. Im
Mittelteil des Langhauses standen mehrere lange Tische, an denen zusammen mit
vielen anderen Touristen auch die Mitglieder meiner Reisegruppe saßen und
köstlich duftenden Lachs, frisches Brot und mindestens ein halbes Dutzend
weitere Leckereien in sich hineinstopften.
Mein Magen knurrte immer lauter.
Plötzlich waren Stimmen aus der Richtung zu vernehmen, wo
ich die Küche vermutete, und ich verschwand rasch in einem kleinen Raum. Ein
Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich die historischen Wikingerkostüme
erblickte, die dort aufbewahrt wurden.
„Na ja. Leute, die Ahnung haben, wirst du so nicht täuschen“,
sagte ich eine Weile später zu meinem Spiegelbild, als ich kritisch das
Ensemble betrachtete, das ich aus diversen Teilen zusammengestellt hatte, die
groß genug für mich waren. „Aber wenn das Licht aus ist und sich alle auf die
Bühne konzentrieren, kommst du vielleicht damit durch.“
Ich setzte mir noch eine schwarze Langhaarperücke auf,
zupfte das Wickelschürzenkleid aus Leinen zurecht, damit das moderne
Blumenmuster meines Sommerkleids nicht darunter hervorlugte, und hob einen
Karton mit kleinen Wasserflaschen auf die Schulter, um mein Gesicht dahinter zu
verbergen.
Als ich mich in den Saal schlich, hatte die Aufführung
gerade begonnen und das Licht war, wie ich gehofft hatte, bis auf die
Bühnenscheinwerfer gedimmt.
Ich huschte zu dem Tisch, an dem meine Reisegruppe saß, zog
mir die langen schwarzen Strähnen ins Gesicht und trat von hinten an die Leute
heran.
„Möchte jemand ein Wasser“, fragte ich leise.
Niemand schenkte mir Beachtung. Denise trommelte ungeduldig
mit den Fingern auf die Tischplatte und schaute den Schauspielern lustlos bei
der Vorführung eines Wikingerrituals zu. Audrey saß neben ihr. Sie sah müde und
unglücklich aus, und ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen, denn sie hatte
bestimmt einiges durchgemacht, nachdem ich abgetaucht war.
Magda saß mit Ray am anderen Ende des Tischs. Als ich bei
ihnen ankam, beugte ich mich vor und bot erst ihm, dann ihr Wasser an.
„Nein danke“, sagte Magda, ohne mich anzusehen.
„Sie haben doch bestimmt Durst“, entgegnete ich leise und
kam ihr noch ein bisschen näher. Dabei behielt ich die anderen die ganze Zeit
im Auge.
„Nein danke“, wiederholte sie und sah mich immer noch nicht
an.
Ich seufzte und stupste sie mit dem Karton an. „Wasser ist
gesund. Nehmen Sie doch ein Fläschchen!“
Sie runzelte die Stirn und drehte sich endlich zu mir um.
Als ich mir das Haar aus dem Gesicht strich, um mich zu erkennen zu geben, riss
sie die Augen auf.
„Nehmen Sie!“, sagte ich leise und bereitete mich innerlich
darauf vor, die Flucht anzutreten. Falls Magda anfing zu schreien, würde ich
mit den Flaschen um mich werfen, davonlaufen, und mich auf dem schnellsten Weg
in die Bibliothek verziehen.
Doch sie schrie nicht. Sie nahm mir einfach nur die
Wasserflasche ab und sah mich mit großen Augen an.
„Die Toiletten sind dort hinten. Die werden Sie vielleicht
aufsuchen müssen, wenn Sie das alles getrunken haben“, raunte ich ihr zu und
hoffte, dass sie verstand, was ich damit sagen wollte.
Als sie nickte, schlich ich mich unauffällig
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