Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
schaute sie schräg von der Seite an. Patty musste manchmal an einen alten Kojoten denken, der seiner Beute nachtrabte und eine ganze Weile mit ihr herumplänkelte, ehe er zuschlug.
»Daddy hat Makkaroni für uns gemacht«, verkündete Debby. »Er bleibt zum Abendessen.«
»Ihr wisst doch, dass ihr keinen ins Haus lassen sollt, wenn ich nicht da bin«, sagte Patty und wischte die Kakaospur mit einem Lappen weg, der schon stank.
Michelle verdrehte die Augen und lehnte sich an Runners Schulter. »Himmel, Mom, es ist doch bloß Daaaaad.«
Wenn Runner einfach gestorben wäre, hätte das vieles einfacher gemacht. Er hatte so wenig mit den Kindern zu tun, half Patty so gut wie gar nicht – wenn er tot wäre, könnte alles nur besser werden. Jetzt wohnte er im großen Irgendwo Da Draußen und schneite gelegentlich mit absurden Ideen und Plänen und Befehlen herein, denen die Kids meistens nachkamen. Weil Dad es ja gesagt hatte.
Patty hätte ihn nur zu gern rausgeschmissen. Und ihm von seinem Sohn und der beunruhigenden Sammlung in seinem Spind erzählt. Die Vorstellung, dass ihr Sohn Tierkadaver aufschnitt und Teile davon aufbewahrte, schnürte ihr die Kehle zu. Das Cates-Mädchen und ihre Freundinnen, das war ein Missverständnis, das konnte gut ausgehen oder auch nicht. Aber sosehr sie sich auch bemühte, sich eine Ausrede für die Tierorgane auszudenken, es klappte nicht – dabei war sie die geborene Meisterin im Ausdenken von Ausreden. Dass Collins angedeutet hatte, Ben könnte seine Schwestern belästigt haben, machte ihr keine Sorgen. Auf der Heimfahrt hatte sie sich den Gedanken noch einmal durch den Kopf gehen lassen, hatte ihn umgedreht und auf Herz und Nieren geprüft, gewissenhaft und gründlich. Aber sie hatte nicht den geringsten Zweifel in sich gefunden: So etwas würde Ben niemals tun.
Aber sie wusste, dass ihr Sohn tatsächlich Geschmack daran fand, anderen Schmerzen zuzufügen. Sie dachte an den Augenblick mit den Mäusen: das roboterhafte Zuschlagen mit der Schaufel, die gebleckten Zähne, das schweißbedeckte Gesicht. Ben tobte mit seinen Schwestern herum, und das alles andere als sanft. Manchmal verwandelte sich das Kichern dann in Geheul, und einmal hatte sie zufällig gesehen, wie er Michelle den Arm auf den Rücken drehte, ganz langsam. Oder wie er Debby schraubstockartig am Arm packte und ihn so lange rieb und rubbelte, bis Blut kam. Wenn dann aus Spaß schlagartig Ernst wurde, erntete Ben von den Mädchen oft ähnliche Blicke wie Runner: alarmiert und krampfig.
»Dad muss jetzt gehen.«
»Himmel, Patty, sagst du mir nicht mal hallo, bevor du mich rausschmeißt? Komm doch, unterhalten wir uns ein bisschen, ich hab ein Geschäftsangebot für dich.«
»Ich bin absolut nicht in der Position zum Geschäftemachen«, antwortete sie. »Ich bin pleite.«
»Du bist nie so pleite, wie du behauptest«, entgegnete er mit einem boshaften Grinsen und drehte seine Baseballkappe auf den strähnigen Haaren nach hinten. Wahrscheinlich sollte es witzig klingen, aber es kam als Drohung heraus: Sei lieber nicht pleite, sonst passiert was!
Kurzerhand schubste er die Mädchen von sich weg, ging zu Patty und stellte sich wie immer viel zu dicht vor sie. Sein Trikothemd klebte bierschweißig an seiner Brust.
»Hast du nicht grade erst die Ackerfräse verkauft, Patty? Vern Evelee hat mir erzählt, dass du grade die Ackerfräse verkauft hast.«
»Und von dem Geld ist nichts übrig geblieben, Runner. Es geht immer genauso schnell weg, wie es kommt.« Sie wandte sich ab und tat, als würde sie die Post durchsehen. Aber er wich ihr nicht von der Seite.
»Du musst mir helfen, Patty, ich brauch ein bisschen Cash, um nach Texas zu fahren.«
Natürlich wollte Runner in eine Gegend, wo es im Winter nicht so kalt war, wollte kinderfrei wie ein Zigeuner von einer Jahreszeit zur anderen reisen, eine Beleidigung für sie und ihre Farm und die Tatsache, dass sie mit diesem Fleckchen Erde so verwurzelt war. Runner suchte sich einen Job und schmiss das Geld dann für irgendwelche dummen Dinge aus dem Fenster: Er wurde Mitglied in einem Golfclub, weil er sich immer vorgestellt hatte, eines Tages Golf zu spielen. Er kaufte sich eine schicke Stereoanlage, die er aber nie anschloss. Jetzt plante er also, nach Texas abzuhauen. Als Patty noch auf der Highschool war, hatte sie mit Diane einmal eine Reise an den Texas Gulf unternommen, die einzige richtige Reise, die Patty überhaupt jemals gemacht hatte. Von dieser Reise war ihr
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