Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
wollte nicht übergangen werden. Trey gab ihm die Pfeife nicht. »Ich weiß nicht, ob du das hier willst, Kumpel. Das ist mein und Diondras Ding. Scharfes Zeug. Im Ernst, Diondra, es könnte heute Nacht sein, ich muss mal wieder die Macht in mir spüren, ich hab sie zu lange nicht mehr gefühlt. Vielleicht muss es heute passieren.«
Diondra sah starr geradeaus, in den wild wirbelnden Schnee.
»Möglicherweise braucht Ben es auch«, hakte Trey nach.
»Na gut, dann lass es uns tun. Bieg hier links ab«, sagte Diondra.
Und als Ben fragte, wohin sie fuhren, lächelten sie beide nur.
Libby Day
Jetzt
D er Himmel hatte eine unnatürlich lila Farbe, als ich die Bar in Lidgerwood verließ und auf irgendwelchen Seitenstraßen zum Superfund-Gelände holperte. Ich fragte mich, was es wohl über mich sagte, dass mein Vater auf einer Giftmülldeponie hauste und ich davon bis heute nichts gewusst und mich auch nicht darum gekümmert hatte. Heuschreckenköder. Kleie und Melasse und Arsen gegen die Heuschreckenplage damals in den dreißiger Jahren, und als man es nicht mehr benötigte, hatte man es einfach verbuddelt, säckeweise, ab ins Massengrab. Dann wurden die Anwohner plötzlich krank.
Ich hätte gern jemanden bei mir gehabt. Lyle, der in einem seiner geschrumpften Jäckchen neben mir herumkasperte. Ich hätte ihn anrufen sollen. In meiner Hysterie, hier runterzukommen, hatte ich niemandem gesagt, wo ich hinfuhr, und seit dem Tanken in Kansas City auch keine Kreditkarte mehr benutzt. Wenn irgendetwas schiefging, würde mich tagelang niemand vermissen. Diese Jungs in der Bar waren die Einzigen, die Hinweise gehabt hätten, und sie machten nicht den Eindruck, als wären sie hilfsbereite Staatsbürger.
Das ist lächerlich
, sagte ich laut und überzeugend. Wenn ich daran dachte, warum ich Runner suchte, bekam ich sofort eine Gänsehaut. Immerhin glaubte eine ganze Reihe von Leuten, dass er meine Familie umgebracht hatte. Aber mir leuchtete das immer noch nicht ein, selbst ohne Alibi. Ich hatte einfach Schwierigkeiten, mir vorzustellen, wie Runner allen Ernstes eine Axt benutzte. Dass er im Affekt zum Gewehr griff – anlegen, spannen, peng –, das schon, aber eine Axt, das passte einfach nicht. Viel zu anstrengend. Außerdem hatte man ihn am nächsten Morgen zu Hause gefunden, schlafend und immer noch betrunken. Klar, Runner hätte sich, nachdem er seine Familie umgebracht hatte, garantiert zugesoffen. Aber er hätte nie im Leben die Disziplin aufgebracht, zu bleiben, wo er war. Er wäre sofort geflüchtet und hätte seine Schuld unabsichtlich hinaustrompetet.
Die Müllhalde war von einem billigen, löchrigen Metallzaun umgeben. Überall wucherte hüfthohes Unkraut, wie Präriegras, und in der Ferne flackerten winzige Lagerfeuer. Ich fuhr am Zaun entlang; Unkraut und Kies schlugen gegen das Fahrgestell, immer eindringlicher, bis ich schließlich anhielt. Den Blick auf die Feuer gerichtet, schubste ich die Autotür zu. Bis zum Camp war es ein Fußmarsch von etwa zehn Minuten. Mühelos schlüpfte ich durch ein Loch im Zaun zu meiner Rechten und wanderte, die Beine von Borstenhirse umwogt, los. Inzwischen brach die Dunkelheit rapide herein, der Horizont war nur noch ein rosa Nagelhäutchen. Auf einmal merkte ich, dass ich ohne ersichtlichen Grund »Uncle John’s Band« vor mich hinsummte.
Weiter weg standen ein paar knorrige Bäume, aber die ersten hundert Meter gab es nur sanft hügliges hüfthohes Unkraut. Wieder erinnerte ich mich an meine Kindheit, das beruhigende Gefühl des dichten Grases, das einem über die Ohren, die Handgelenke und die Innenseite der Waden strich, als wollte es einen liebkosen. Doch nach ein paar Schritten stieß ich mit der Stiefelspitze gegen die Rippen einer Frau – ich spürte richtig, wie die Knochen sich spreizten, als die lederne Spitze in den Zwischenraum glitt. Die Frau hatte sich in einer Urinpfütze auf dem Boden zusammengerollt, die Arme um eine Schnapsflasche ohne Etikett geschlungen. Benommen setzte sie sich auf, das verwelkte Gesicht und die Haare waren mit Schmutz beschmiert. »Geh mir von der Pelle, geh mir von der Pelle!«, schnauzte sie mich an, und man sah, dass sie sehr schöne Zähne hatte.
»Was soll das denn?«, schrie ich ebenfalls, trat schnell ein paar Schritte zurück und streckte die Arme in die Luft, als hätte ich Angst, die Frau zu berühren. Dann ging ich schnell weiter, versuchte, so zu tun, als wäre nichts passiert, und hoffte, die Frau würde bald
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