Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
gesagt?«
»Na ja, was hab ich denn damit zu tun?«
Patty Day
2 . Januar 1985
21 Uhr 12
N achdem Runner weggefahren war, vermutlich um jemand anderem Geld aus der Nase zu ziehen, war es eine Weile still im Haus. Warum bettelte er nicht Peggy Banion an? Sie war doch jetzt, soweit Patty gehört hatte, seine Freundin. Wahrscheinlich hatte er es längst getan.
Aber die Ruhepause war nur kurz, dann erhob sich ein wildes Durcheinander von Fragen und Befürchtungen, und die Mädchen streckten ihre kleinen Hände nach Patty aus, als versuchten sie, sich an einem leider extrem schwachen Lagerfeuer zu wärmen. Heute hatte Runner ihnen wirklich Angst gemacht. Sicher, er hatte schon immer etwas Bedrohliches an sich gehabt, war schon immer leicht aufgebraust, wenn er seinen Kopf nicht durchsetzen konnte, aber noch nie war er so offensichtlich kurz davor gewesen, gewalttätig zu werden, wie heute. Im Großen und Ganzen. Als sie verheiratet gewesen waren, hatte es gelegentlich schon Raufereien gegeben, ein Klaps, eine Kopfnuss hie und da, die aber eher dazu gedacht zu sein schienen, Patty wütend zu machen und sie an ihre Hilflosigkeit zu erinnern, als richtig weh zu tun.
Warum ist nichts zu essen im Kühlschrank?
Klatsch.
Warum ist das Haus so ein Saustall?
Klatsch.
Wo ist das ganze Geld geblieben, Patty?
Klatsch, klatsch, klatsch.
Hörst du mir überhaupt zu? Was zur Hölle hast du mit dem ganzen Geld gemacht?
Runner war besessen vom Geld. Selbst in seinen seltenen väterlichen Momenten, wenn er widerwillig Monopoly mit den Kindern spielte, verbrachte er die meiste Zeit damit, sich etwas aus der Bank zu stibitzen und die bunten Scheine unter dem Tisch auf dem Schoß zu horten.
Du nennst mich einen Schummler?
Klatsch.
Du behauptest, dein Vater hat geschummelt, Ben?
Klatsch, klatsch, klatsch.
Du hältst dich wohl für besonders klug, was?
Klatsch.
Jetzt, fast eine Stunde nachdem Runner abgehauen war, klebten die Mädchen immer noch an ihr, auf ihr, neben ihr, hinter ihr, überall auf dem Sofa, wollten erklärt bekommen, was los war, was mit Ben los war, warum Dad so sauer war. Warum hatte sie Dad geärgert? Libby saß am weitesten von ihr entfernt. Zusammengekauert saß sie da und lutschte am Daumen, und ihr ängstliches kleines Hirn beschäftigte sich mit dem Besuch bei den Cates, mit dem Polizisten. Sie sah fiebrig aus, und als Patty die Hand auf ihre Wange legte, schrak sie zurück.
»Ist schon okay, Libby.«
»Nein, ist es gar nicht«, erwiderte sie, die Augen fest auf Patty gerichtet. »Ich will, dass Ben wieder da ist.«
»Er wird schon kommen«, sagte Patty beruhigend.
»Woher willst du das wissen?«, jammerte Libby.
Debby nahm das als Stichwort. »Weißt du, wo er ist, Mom? Warum finden wir ihn nicht? Hat er Ärger wegen seinen Haaren?«
»Ich weiß, warum er Ärger hat«, verkündete Michelle überzeugt. »Wegen Sex.«
Patty sah sie an, wütend über ihren affektierten, klatschsüchtigen Ton. Ein Ton, bei dem man sich alte Frauen mit Lockenwicklern vorstellte, geschwätziges Geflüster im Supermarkt. Vermutlich wurde in Kinnakee momentan genau in diesem Ton über ihre Familie diskutiert. Sie packte Michelle am Arm, härter, als sie beabsichtig hatte.
»Was meinst du damit, Michelle? Weißt du irgendwas?«
»Nein, nichts, Mom, gar nichts«, stieß Michelle hastig hervor. »Ich hab das nur so gesagt. Ich weiß nichts.« Dann begann sie zu heulen, wie immer, wenn sie in Schwierigkeiten geriet und wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
»Ben ist euer Bruder, und man sagt nicht absichtlich irgendwelche Gemeinheiten über seinen Bruder. Nicht in der Familie und schon gar nicht außerhalb. Das heißt in der Kirche, in der Schule und so weiter.«
»Aber Mom …«, begann Michelle, immer noch plärrend. »Ich mag Ben nicht.«
»Sag so was nicht.«
»Er ist böse, er tut böse Dinge, alle in der Schule wissen das …«
»Was wissen alle in der Schule, Michelle?« Patty spürte, wie ihre Stirn heiß wurde, und sie wünschte, Diane wäre da. »Ich versteh das nicht. Hat Ben, willst du sagen, dass Ben … irgendwas … irgendwas Unrechtes getan hat … mit dir?«
Patty hatte sich geschworen, diese Frage nie zu stellen, denn sie fand, dass es ein Verrat an Ben war, so etwas auch nur zu denken. Als Ben jünger gewesen war, sieben oder acht, war er eine Weile immer nachts zu ihr ins Bett geschlüpft, und sie war davon aufgewacht, dass er ihr mit den Fingern durch die Haare strich oder die Hände auf
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